Die letzten Geheimnisse der „Lucona“

Der wahrscheinlich größte politische Skandal in der Geschichte der 2. Republik entzündete sich um einen Schiffsuntergang: Am 23. Januar 1977 versank das Frachtschiff Lucona nach einer Explosion im Indischen Ozean. Sechs Besatzungsmitglieder kamen dabei ums Leben.

An Bord befand sich angeblich eine Uranerzaufbereitungsanlage, in der uranhaltiges Gestein gebrochen und gemahlen wird. Die Maschine sollte an eine Briefkastenfirma namens North Pacific Trading in Hongkong gehen. Als Verkäufer fungierte die ähnliche dubiose Firma Zapata SA Suisse von Udo Proksch. Dieser hatte die Fracht bei der Bundesländer-Versicherung in Wien für 212 Millionen Schilling versichern lassen und wollte die Summe nach dem Untergang kassieren. Trotz exzellenter Verbindungen in die Politik kam Proksch mit dem Betrug nicht durch. Aber Österreich wurde von einem langwierigen Justizkrimi bis 1992 in Atem gehalten.

Heute ist die Aufdeckung der Lucona-Causa ist vor allem mit einem Namen verbunden: Hans Pretterebner. Der 2024 verstorbene Journalist, hatte mit seinem Bestseller „Der Fall Lucona“ die Angelegenheit erst so richtig ins Rollen gebracht. Öffentlich kaum bekannt dagegen ist jener Mann, der letztlich die lebenslängliche Verurteilung von Proksch bewerkstelligte: Staatsanwalt Robert Schindler. Seine Ausführungen in einem Zeitzeugengespräch mit dem Autor (2025) geben Auskunft zu einigen der letzten Geheimnisse der Lucona.

Im Verlauf seiner Karriere hatte es Schindler immer wieder mit besonders heiklen Materien zu tun: Nach dem Überfall auf die OPEC-Ministerkonferenz in Wien 1975 ermittelte er gegen die flüchtigen Terroristen. Anfang der 1980er Jahre fungierte er als Ankläger in den Verfahren gegen die nach dem Anschlag auf den Jüdischen Stadttempel (1981) festgenommenen Mitglieder der Abu-Nidal-Organisation (ANO) und wurde dafür in einem aus dem Gefängnis Stein herausgeschmuggelten Kassiber mit dem Tode bedroht.

Auch die Wege mit Proksch kreuzten sich früh. 1979 war ein Offizier der ostdeutschen Staatssicherheit, Werner Stiller, übergelaufen. Die von ihm mitgebrachten Dokumente wiesen den Weg zu einem Wiener Netzwerk von Osthändlern und Technologieschmugglern rund um Proksch und dessen Freund, Szenegastronom Rudi Wein. Im Gespräch mit dem Autor erinnerte sich Schindler an den Gang der Ereignisse:

„Ich war Journalstaatsanwalt und die Staatspolizei hat angerufen. Es gehe darum, mithilfe der Informationen von Stiller die ganze Blase rund um den Rudi Wein und Proksch zu zerplatzen. Mittels Hausdurchsuchungen und das überall gleichzeitig. Die zuständige Journalrichterin hat meinen Antrag aber abgewiesen. Ich habe daraufhin um halb drei Uhr in der Früh das Aufsichtsorgan – die Ratskammer – zusammengetrommelt und die haben dann die Hausdurchsuchung bewilligt. Dadurch wurde eine erhebliche Verzögerung des Ablaufes der Erhebungen bewirkt. Die Staatspolizei war bestrebt, Personal aus ganz Österreich für den Zugriff zu versammeln. Als ich dann in der Früh das Radio aufgedreht habe, höre ich, dass Innenminister Erwin Lanc bekanntgibt, dass aufgrund der Aussagen eines DDR-Überläufers eine Erhebung im Gange sei. Da war die Sache natürlich tot und es wurde nichts gefunden.“

Wie das Nachrichtenmagazin profil damals berichtete, waren in sieben Wiener Wohnungen und Geschäftslokalen Aktenkästen und Tischladen durchstöbert und Unterlagen beschlagnahmt worden. Und das „ohne Erfolg“. Lediglich der Sohn von Wein hatte bei einer Einvernahme angegeben, von seinem Vater „zu Kontakten mit ostdeutschen Nachrichtendienstoffizieren und kleinen Diensten für sie angestiftet“ worden zu sein. Konsequenzen gab es keine.

Zu Proksch gab es aber die ersten kritischen Recherchen. Der Journalist Gerald Freihofner charakterisierte ihn so: „Udo Rudolf Proksch ist ein Tausendsassa: Er ist bekannter Designer und bekannt als Partylöwe, er beherrscht die Regeln des Nahkampfes und ist Fallschirmspringer, er kennt Waffen und nach mehreren glücklosen Eheversuchen mit Töchtern der höheren Gesellschaft auch die Frauen, er besitzt Flugzeuge, ein properes Landanwesen in Niederösterreich und mehrere Wohnsitze. Er hat mächtige Freunde und prächtige Verbindungen – institutionalisiert im Demel-Nobel-‚Club 45‘“.

Der 1973 von Proksch gegründete Club 45 zählte rund 300 Mitglieder, darunter Spitzenpolitiker wie zum Beispiel Helmut Zilk, Hannes Androsch und Karl Lütgendorf sowie führende Medien- und Wirtschaftsvertreter wie Walter Flöttl, Teddy Podgorski und Friedrich Dragon. Die ausgezeichnete Vernetzung von Proksch war dann auch hauptverantwortlich dafür, dass die Lucona-Causa lange verschleppt wurde. Erst ab 1985 geriet Proksch zunehmend ins Visier der Justiz.

Der Club 45 befand sich über dem Café Demel, das seit 1972 von Proksch auf Kredit gekauft worden war

Staatsanwalt im Lucona-Verfahren

Schindler wurde erst Ende der 1980er Jahre zu einem Akteur in dem Fall. Er war für das Lucona-Verfahren zunächst gar nicht zuständig gewesen. Schindler bekam aber mit, wie der mit der Lucona-Causa befasste Kollege „unter der politischen Konstellation gelitten hat, weil man das abdrehen wollte“. Der Staatsanwalt habe gesagt: „Schön langsam reicht‘s mir. Ich mache das dann so wie die das aus dem Ministerium wollen.“

Im Herbst 1989 – wenige Monate vor dem Beginn der Hauptverhandlung – ging eben jener Staatsanwalt, der noch die Anklage verfasst hatte zur Oberstaatsanwaltschaft. Schindler war ab diesem Zeitpunkt nur mit der Fahndung nach Proksch und Randerhebungen befasst und „das naheliegendste“ wäre gewesen, dass der Anklageverfasser von dort für die Hauptverhandlung der Staatsanwaltschaft Wien zugeteilt wird: „So hätte er beides parallel machen können. Das war aber nicht der Fall.“

Am 17. Oktober 1989 – als Schindler gerade bei einer Hausdurchsuchung in Salzburg war – erhielt er einen Anruf des leitenden Oberstaatsanwalts, der ihn verständigte, dass nun er – Schindler – im Jänner die Hauptverhandlung gegen den Proksch machen werde. „Da war ich natürlich sehr erfreut angesichts der Tonnen von Papier. Ich habe die Angelegenheit in groben Zügen gekannt, aber im Detail war ich ahnungslos. Ich wurde zumindest dienstfreigestellt und habe außerdem als Unterstützung einen Kollegen meiner Wahl hinzunehmen dürfen. Ich habe mich eingelesen – musste aber dann noch parallel zur Hauptverhandlung nachlesen“, so Schindler.

Es sei ein Glücksfall gewesen, dass die Erhebungen von niederösterreichischen Kriminalabteilung unter Oberst Alfons Traninger geführt wurden. Der für die Sache abgestellte Revierinspektor Franz Reitter habe „phänomenal gearbeitet“. Ein Großteil, dass man den Proksch erwischt habe, sei der akribischen Arbeit dieses Beamten zu verdanken.

Reitter habe sich ganz in die Sache „hineingekniet“ und habe sehr anschauliche Behelfe angefertigt, um die komplexe Materie aufzubereiten. So fügte Reitter die unterschiedlichen Zeugenaussagen in einer drei Meter langen „Ziehharmonika“ zusammen, wodurch es einfach war, abzugleichen, was die verschiedenen Zeugen zu unterschiedlichen Zeitpunkten ausgesagt hatten. Reitter sei auch eine „unglaublich gute Orientierungshilfe“ gewesen, der ihm – Schindler – wenn nötig weitergeholfen habe, sich im Dickicht der Lucona-Causa zurechtzufinden. „Das ist nie gewürdigt worden. Das stört mich bis heute!“, so Schindler.

Die ursprüngliche Anklage lautete wegen Weisung des Ministeriums auf Kriegsmaterialiengesetz und Betrug: „Dass die Lucona untergegangen ist und es dabei Opfer gegeben hatte, war kein Thema“. Aber zumindest musste die Verhandlung infolge der Teilanklage nach dem Kriegsmaterialiengesetz dadurch vor einem Schwurgericht stattfinden. In der Zwischenzeit lagen noch weitere Beweise gegen Proksch vor – nachdem Justizminister Harald Ofner noch 1985 gemeint hatte, „die Suppe“ sei ihm „zu dünn“.

Nun lag eine Expertise des Germanischen Lloyd vor, die die Aussagen der Überlebenden des Schiffsuntergangs mittels Computeranimation nachprüfte. So hatte der Schiffskoch angegeben, dass durch die plötzliche Erschütterung die Töpfe senkrecht in die Höhe geflogen seien – während ein Zeuge von der Crew in einem Nebenraum sah, wie alles „waagrecht“ rutschte. Das war natürlich ein „Bombenwiderspruch“ für die Verteidigung, wie Schindler betont. Aber der Germanische Lloyd hatte festgestellt, dass jede Zeugenaussage in Anbetracht der Schwingungen, die man nachvollziehen konnte, „vollkommen richtig“ war. Wenn solches neues Beweismaterial vorhanden war, dann konnte man dem Staatsanwalt in der Hauptverhandlung keine Weisung mehr erteilen: „Da war ich von der Leine“.

Am 30. Jänner 1990 startete dann die Hauptverhandlung und das erste, was Schindler machte, „war, die Anklage auf sechsfachen Mord und sechsfachen versuchten Mord auszudehnen. Das Ministerium ist deswegen Kopf gestanden, aber sie haben sich nicht getraut, mir da irgendetwas anzuhängen.“

Ein Problem war auch, dass der vorsitzende Richter Hans-Christian Leiningen-Westerburg mit Proksch Small-Talk gemacht hat, „wie wenn die beiden im Caféhaus sitzen würden“, so Schindler. Der Richter habe von seinem Gehabe her in die Proksch-Partie hineingepasst: „Er wollte mir dann Fragen abdrehen. Da habe ich dann damit gedroht, dass ich ein Tagebuch gegen ihn eröffne. Da hat er sich dann gefangen und hat gemerkt, es wird ernst.

Proksch war hier in der Walfischgasse gemeldet

Hilfe vom Abwehramt

Wichtige Unterstützung bekam Schindler vom einem der beiden Nachrichtendienste des Bundesheeres. Das Abwehramt (AbwA) war 1985 aus dem Heeresnachrichtenamt (HNaA) herausgelöst worden und war seitdem für Abwehr von Gefahren für die militärische Sicherheit zuständig. Der Leiter Brigadier Kurt Diglas hatte schon im HNaA Proksch nachgespürt, der in den 1970er Jahren enge Kontakte zu Verteidigungsminister Lütgendorf pflegte.

Unter anderem wusste Diglas, dass Proksch 1976 im Rahmen von „Sprengversuchen“ in Hochfilzen und Bruckneudorf „hunderte Kilo Sprengstoff“ beiseiteschaffen ließ. Der Brigadier war auch im Bilde, dass Lütgendorf an der Proksch-Firma Zapata, die das Lucona-Geschäft abwickelte, beteiligt war.

Schon 1976 schien Proksch unter dem Alias „Kirchhofer (Proksch) Serge Udo“ auf einer Liste von Firmen bzw. Personen auf, „die im Zusammenhang mit Waffenkäufen oder -verkäufen hierorts bekannt sind.“ Proksch stand offenbar in Verdacht, „1973/74 im Wege einer Fa. in Vaduz, Kriegsausrüstung in den Nahen Osten, vor allem nach Libyen und in den Libanon verkauft zu haben.

Ebenfalls 1976 hatte das HNaA einen umfangreichen Bericht über Prokschs Aktivitäten an Lütgendorf geschickt, in dem festgehalten wurde: „Im Lichte der bisherigen Erkenntnisse, welche sehr schwerwiegende Hinweise auf das Vorliegen auch nachrichtendienstlicher Hintergründe (Operationen bzw. Ziele) beinhalten, verfolgt das HNaA den Vorgang im Zusammenwirken mit dem Staatspolizeilichen Dienst sehr aufmerksam.“

Im selben Schreiben kommunizierte der Dienst das Vorhaben, im Verteidigungsministerium mit relevanten Entscheidungsträgern „vertrauliche Gespräche“ zu führen, um „dadurch zu erhöhter Wachsamkeit und ggf. Mitteilung ev. bemerkenswerter Umstände zu veranlassen“.  Außerdem wollte man in Hinblick auf das an Proksch „geliehene Heeresgut“ mit verschiedenen Stellen „in Verbindung bleiben“. Lütgendorf fügte an dieser Stelle handschriftlich ein „Nein“ hinzu.

Der Minister stolperte 1977 über den Verdacht, in illegalen Waffenhandel verstrickt gewesen zu sein. 1981 beging Lütgendorf Selbstmord. Das brisante Wissen der Heeresdienste kam aber erst ins Spiel, als die Justiz Ende der 1980er Jahre ernsthafte Anstalten machte, gegen Proksch vorzugehen.

Schindler erläutert dazu die Hintergründe: „Diglas war ein Sozialdemokrat. Aber da hat die Sache Vorrang gehabt vor der Ideologie. Das Abwehramt hat sich zunächst an den Untersuchungsrichter Wilhelm Tandinger gewandt. Als ich dann eingestiegen bin, kam es zu einer zaghaften Kontaktaufnahme und das hat sich dann intensiviert. Eigentlich ist das Wissen der Nachrichtendienste für die Justiz nicht zugänglich. Sie sind auch sehr heikel. Ich durfte einmal in einen Riesensaal, der von einem Karteikasten – dem Informationsspeicher – ausgefüllt war. Ohne Beziehungen wäre das nicht gegangen.“

Die Unterstützung, die Schindler vom Abwehramt erhielt, bewertet er als „unglaublich wertvoll“: „Sie haben mir daraufhin Zugang verschafft zu den Archiven im Bundesheer, wo ich sonst nie hineingekommen wäre. Sie haben auch den ersten Hinweis darauf gegeben, dass in Piesting auf dem Areal der Firma Pinosa Schrott von einer alten Kohle-Aufbereitungsanlage aus Höflein von italienischen Gastarbeitern umlackiert worden ist. Das war die angebliche Uranerzaufbereitungsanlage, die Proksch versichern und mit der Lucona untergehen ließ. Die Vorgänge am Pinosa-Firmenglände konnte man gut beobachten. In der Nähe war gleich die Kaserne Wöllersdorf und die Pinosa war eingebettet in einen Talgrund. Links und rechts gab es Föhrenhügel, wo das Bundesheer geübt hat. Sie haben auf das Areal der Firma Pinosa gesehen und mitbekommen, was da läuft. Es kam dann in Piesting zu einer weiteren Hausdurchsuchung. Wir haben zusammen mit dem Abwehramt eine penible Suche gemacht. Das war die Aufklärungsabteilung unter Bernd F. Der hat seine Mannschaft zusammengezogen und nach allen Regeln der Kunst durchsuchen lassen. Prompt wurde ein Hartplastikschlüssel gefunden, mit dem man eine Panzermine scharfmachen konnte. Es ist offenbar auch die Ausstattung des Schrotts mit dem Sprengstoff in Piesting passiert. Ich habe dann in der Verhandlung den Schlüssel herausgezogen und habe den Proksch gefragt, wozu er das denn braucht. Und der Proksch, der ja sehr souverän war, war in dem Moment sichtbar von den Socken.“

Später sei es dann um das Überlassen von Sprengstoff und Munition aus Bundesheerbeständen an Proksch gegangen: „Da wurde eine Scheinveranstaltung auf dem Truppenübungsplatz Bruck gemacht. Der dafür notwendige Sprengmitteltransport wurde mit einem Dodge-Fahrzeug bewerkstelligt und der Fahrer dieses Dodge, der brauchte einen speziellen Führerschein. Das Abwehramt hat mir aus dem Archiv das Fahrtenbuch und den damaligen Lenker gebracht, der dann als Zeuge im Verfahren vernommen wurde. Dieser Mann war Bundesheerbediensteter und zufälligerweise auch ausgebildeter Sprengmeister. Er hat gewusst, was er damals mitgebracht hat und gezählt, was zur Explosion gebracht wurde. Da bestand eine erhebliche Diskrepanz. Und er hat mitbekommen, dass der Sprengstoff in den Kofferraum eines Alfa Romeo, der von Proksch gelenkt wurde, geladen worden ist. Da hat man die Dimension dessen erkannt, was da abgegangen ist.“

Das Abwehramt habe ihm, Schindler, außerdem die Schiene zum US-amerikanischen Militärattaché in der Botschaft in der Boltzmanngasse gelegt: „Die Amerikaner hatten einen Spionagesatelitten über dem Indischen Ozean. Man hätte dann einen Vergleich machen können. Beim ersten Durchgang sieht man die Lucona und beim nächsten Mal ist sie weg. Das hätte uns unter Umständen die Suche erspart. Das wäre natürlich der Hammer gewesen. Aber die Amerikaner haben sich im letzten Moment zurückgezogen – mit der Begründung, man könnte aus gewissen Sachen Rückschlüsse ziehen über die technischen Kapazitäten des Satelliten.“

Plan der Lucona – die Stelle des Explosionsorts im Frachtraum ist ausgwiesen

Die Gratz-Papiere

Eine Schlüsselfigur bei der Aufklärung war der Rechtsanwalt Werner Masser: „Die Bundesländer-Versicherung ist vor dem Vergleich mit Proksch gestanden. Das ist aber vom Privatbeteiligtenvertreter verhindert worden. Das war Dr. Werner Masser. Er hat bei der Münchner Rück-Versicherung erwirkt, dass dem Vergleich nicht zugestimmt wurde,“ so Schindler.

Er selbst musste bei jedem Erhebungsschritt aufpassen, „wo sitzt jemand, der das vielleicht hintertreibt“. Der damalige Außenminister Leopold Gratz hatte für Proksch entlastende Papiere über die „Uranerzaufbereitungsanlage“ aus Bukarest beschafft und zwar von der Firma Uzin Export. „Gratz hatte die Botschaft in Bukarest angewiesen, die dort abgegebenen Dokumente direkt dem Außenministerium zu übermitteln. Der Botschafter nahm sich bei Einlangen der Papiere sofort Urlaub“, so Schindler.

Masser habe ihm dann über die Wirtschaftskammer die Rutsche zur Aushandelsdelegation in Bukarest gelegt: „Diese Aktion lief nicht über den Untersuchungsrichter und fand im Akt keinen Niederschlag, weshalb nichts durch Akteneinsicht nach draußen dringen konnte. Die Leute von der Außenhandelsdelegation haben ihre Fühlerausgestreckt und fanden Donauschwaben, die in der Uzin Export beschäftigt waren und die bestätigt haben, dass der Direktor, der diese Gratz-Papiere unterschrieben hat, zum Zeitpunkt der Ausstellung noch gar nicht an dieser Stelle gewesen ist. Das wurde dokumentiert und wenig später wurden die Räumlichkeiten der Außenhandelsdelegation von der Geheimpolizei Securitate durchsucht. Das hat diese Stelle zu äußerster Vorsicht und Diskretion veranlasst. Sie haben dann händeringend darum gebeten, dass sie die Dokumente nicht vorliegen müssen. Wir haben dann vereinbart, sie legen es bei der Wirtschaftskammer in den Tresor und wenn das Verfahren schiefgeht, dann grabe ich das aus und stoße eine Wiederaufnahme an. Ich habe es nicht gebraucht. Vielleicht liegt es immer noch in diesem Tresor.“

Die Spur auf die Philippinen

Anfang 1988 war Proksch der Boden zu heiß geworden und er flüchtete auf die Philippinen. Sein Verbleib blieb aber nicht geheim. Schindler musste aber wieder vorsichtig sein, weil der österreichische Botschafter in Manila ein ehemaliger Sekretär von Gratz war: „Da war Vorsicht geboten, als wir Reitter nach Manila schicken wollten. Es brauchte damals einen Ministerratsbeschluss, um auf eine derartige Auslandsreise zu schicken. Ich stand unter Berichtspflicht und musste über jeden Ermittlungsschritt das Justizministerium informieren, was ich, um Personen und Erhebungserfolg nicht zu gefährden, natürlich so nicht getan habe. Ich hatte einen Freund im Justizministerium, der zufällig die Anlaufstelle für meine Berichte war. Den habe ich immer voll informiert und er hat Brisantes entschärft oder verspätet weitergegeben Als es nun darum ging, Reitter zu entsenden, wäre das mit dem Ministerratsbeschluss sofort aufgeflogen – abgesehen davon wäre es für Reitter unter Umständen gefährlich gewesen, in Manila zu ermitteln. Ich habe mich daher über Masser an Ludwig Steiner gewandt, der zeitgleich dem parlamentarischen Lucona-Untersuchungsausschuss vorgestanden ist. Ich habe ihm ein verschlossenes Kuvert gegeben, mit dem Inhalt, dass der Reitter nach Manila fährt. Aber er möge seinen Einfluss geltend machen, dass das in den nächsten zwei Wochen aus kriminaltaktischen Gründen nicht geöffnet wird. Das ist Steiner gelungen. Reitter ist nach Manila geflogen, ohne dass jemand davon etwas mitbekommen hat. Er hat herausgefunden, in welchem Hotel Proksch logiert. Das wurde von einer zweiten Schiene bestätigt. Der Journalist Alfred Worm hat mich angerufen und hat gesagt, er ist jetzt gerade mit dem Präsidenten des Arbeits- und Sozialgerichts Karlheinz Demel im Flieger nach Bangkok gesessen und der habe damit geprahlt, dass er als einziger wisse, wo Proksch sich befinde und angedeutet, dass er sich mit ihm treffen werde. Man konnte später nachvollziehen, in welchem Hotel sich Demel mit Proksch getroffen hat. Ich habe eine Hausdurchsuchung im Arbeits- und Sozialgericht beantragt, die ein Schlag ins Wasser war. Drei Tage später habe ich einen Anruf bekommen: Der Herr Präsident hat die Türtaferl im Gericht umgehängt und natürlich hat man deswegen nichts gefunden. Die wurden dann wieder ordnungsgemäß aufgehängt und wir wurden im zweiten Anlauf prompt fündig.“

Auftakt zum Endspiel

Prokschs Versteckspiel endete am 2. Oktober 1989, als er auf dem Flughafen Wien-Schwechat verhaftet wurde. Schindler weiß über die Hintergründe folgendes zu berichten: „Es hat einen Polizeilehrgang in London gegeben. Da sind von Gendarmerie zwei oder drei Beamte hingeschickt worden. Einer dieser Beamten ist dann von einem Kontaktmann angerufen worden, den er im Rahmen dieses Lehrgangs kennengelernt hat und der hat ihm gesagt: ‚Bei uns steht der Proksch am Flughafen. Er besteigt eine Maschine Richtung Wien.‘ Das Empfangskomitee stand deshalb bereit. Der Zugriff erfolgte durch den Zoll, nicht durch die Flughafen-Polizei. Eine Antiquitätendame, die der Proksch gekannt hat und in dem Flieger war, wollte noch seinen Pilotenkoffer am Zoll vorbeitragen. Aber dem Zöllner ist der Koffer und das Gehabe der Dame aufgefallen und er hat verlangt, dass sie das Gepäckstück öffnet. Da hat sie die Nerven weggeschmissen und als nächster ist schon der Proksch gekommen, der auf einen Flug nach Hannover gebucht war.“

In der Hauptverhandlung verhielt sich Prokschs Verteidigung dann oftmals widerlegbar: „Die vermeintliche Uranerzaufbereitungsanlage hat angeblich Millionen gekostet und Proksch hat dafür Nachweise für die Bankeinzahlung präsentiert. Aber die Geschichte war so, dass er bei einer Bank in Hongkong einen hohen Dollarbetrag eingezahlt hat, der am nächsten Tag wieder abgehoben wurde und denselben Betrag bei der nächsten Bank wieder einbezahlt hat. Diese Vorgangsweise hat er mehrfach gewählt und wollte durch Vorlage der addierten Einzahlungsbelege den Kaufpreiserlag nachweisen. Das konnte man dann anhand der korrespondierenden Auszahlungsbelege, die auf Betreiben von Reitter übermittelt wurden, nachvollziehen.“

Ein anderes Mal merkte Schindler wie gut Prokschs eigenes Netzwerk gesponnen war: „Ich bin während sich das Verfahren in der Hauptverhandlung befand zum Oberstaatsanwalt ernannt geworden. Ich wurde während eines Verhandlungstages um 19 Uhr in den Justizpalast bestellt, wo mir eröffnet wurde, dass die Bewerbung durchgegangen ist. Am nächsten Tag, um neun Uhr, bei Beginn der Hauptverhandlung – hat mir der Proksch zur Beförderung gratuliert, obwohl das zu diesem Zeitpunkt nur dem damit befassten kleinen Kreis bekannt war.“

Zündung per Videorecorder

Richter Leiningen-Westerburg beauftragte schließlich die US-Firma Oceaneering das Wrack der Lucona zu suchen. Schindler durfte nicht mitfahren, aber er setzte durch, dass Professor Gerhard Strasser von der Schiffsbautechnischen Versuchsanstalt mit dabei war: „Der war ein Experte und hatte das Kapitänspatent.“

Es sei gut gewesen, dass er mitgefahren ist. Denn wie Schindler zugetragen wurde, hatte die US-Suchfirma das Planquadrat, wo die Lucona vermutet worden war bis auf die Stelle abgesucht, wo das Wrack am wahrscheinlichsten zu finden war. Dies auf Anordnung des Richters. Dass die Stelle letztlich doch abgesucht wurde, soll auf Druck von Strasser zustande gekommen sein – der sogar angeboten haben soll, diese Suche aus seiner eigenen Tasche zu bezahlen. Und siehe da – genau dort lag die Lucona. Das Wrack wurde am 5. Februar 1991 lokalisiert.

Auf dem Sonarbild war zu sehen, dass das Heck der Lucona intakt ist, während von dem Laderaum nur mehr ein Trümmerfeld in 4.000 m Tiefe übrig ist. Die Bilder von der Lucona waren so scharf, dass man sogar den Namen der ursprünglichen Erzeugerfirma der umlackierten Kohlenförderanlage lesen konnte“, so Schindler.

Sonarbild der Lucona: Das intakte Heck (links) und ein rießiges Trümmerfeld (rechts)

Es wurde auch nachvollzogen, wie das Schiff untergegangen war: „Der Container mit dem verdämmten Sprengstoff war auf Anweisung von Proksch an einer bestimmten Stelle im Frachtraum abgestellt worden. Als Zünder könnte ein Philipps-Videorekorder, mit dem man die Aufnahme von Fernsehprogrammen drei Wochen im Voraus programmieren konnte gedient haben. Die Lucona war dann im Indischen Ozean zu schnell unterwegs. Da kam die Anweisung, dass sie, ohne Notwendigkeit in Aden bunkern soll. Auf diese Weise kam das Schiff pünktlich an die Stelle, wo das Meer am tiefsten ist. Als sich die Zündung dann eingeschaltet hat, kam es zur Auslösung der Explosion. Es waren wahrscheinlich Panzerminen, die da hochgegangen sind. Das Bundesheer hat unter Federführung des Abwehramts auf dem Truppenübungsplatz Hochfilzen eine dieser Minen gesprengt, um deren Gewalt zu demonstrieren. Das war sehr anschaulich für die Geschworenen. Die Wucht war laut Tatzeugen so groß, dass die Lucona in zwei bis drei Minuten gesunken ist. Das hat auch der Versuch mit einem Modellschiff in der Schiffsbautechnischen Anstalt bestätigt.“

Frachtraum der Lucona – die wahrscheinlich mit Sprengstoff gefüllten Container im Vordergrund

Schindler ist überzeugt, dass mit Proksch am 11. März 1991 der Schuldige verurteilt worden ist: „Politische Einflussnahme in brisante Verfahren ist offenbar immer schon ein Problem gewesen. Ich hatte das Glück, dass ich in diesem Fall durch die richtigen Leute, zur richtigen Zeit und am richtigen Ort Unterstützung fand.“