General, Spion & Waffenhändler: Als „Cary“ sein Glück verließ

Wortlos verließ Karl Ferdinand Freiherr von Lütgendorf an diesem 9. Oktober 1981 sein Bauernhaus in Schwarzau am Gebirge (NÖ). Die Ehefrau hatte ihn gerade zum Mittagessen gerufen. Doch „Cary“, wie sie ihn nannte, stieg ins Auto und fuhr weg. Emmy Lütgendorf machte sich schließlich Sorgen und fuhr dem Gatten nach. Gegen 13.20 Uhr fand sie den Lada Taiga vier km weiter auf einem Wendeplatz vor. Der Motor war abgestellt, beide Türen waren geschlossen. Am Lenkersitz saß der 67jährige Lütgendorf – aus Gesicht, Nase und Ohren blutend. In der rechten Hand hielt er noch einen Smith & Wesson-Revolver. Der Tod des ehemaligen Verteidigungsministers ist bis heute Gegenstand von Spekulationen.

„Einwandfrei Selbstmord“

Laut Bericht des Pathologen hatte sich Lütgendorf die Mündung an die geschlossenen Zähne gehalten und abgedrückt: „Der Einschuss befand sich im Bereiche der Rachenhinterwand, der anschließende Schusskanal verlief von hier ausgehend bis in die Nackenweichteile. Anteile des zersplitterten Projektils fanden sich in der Mundhöhle, insbesonders aber am Ende des Schusskanals. […] In Würdigung aller Umstände des Falles handelt es sich um einen Selbstmord.“ Ob es nun tatsächlich ein Freitod war, ist umstritten. Die Behörden konnten oder wollten sich damals keine Mühe geben, Licht ins Dunkle zu bringen. Ein Bericht der Sicherheitsdirektion Niederösterreich vermerkt lediglich, dass hinsichtlich der Vermögensverhältnisse „und auch betr. eines Motivs für den Selbstmord“ keine Erhebungen durchgeführt wurden, „da es sich einwandfrei um einen Selbstmord handelt.“

Mitglied der „Bolero-Gruppe“

Der aus altem Adel stammende Lütgendorf war eine schillernde, aber auch geheimnisvolle Figur. Der einzige Sohn des k.u.k. Militärkommandanten von Brünn schlug naturgemäß eine Offizierskarriere ein. Nach Ausbruch des 2. Weltkriegs wurde er in Narvik (Norwegen) schwer verwundet und war danach bei der Feindaufklärung.

Bislang kaum Eingang in Lütgendorfs Vita gefunden hat, was sich nach Kriegsende abspielte: Er war nämlich mit dabei als im Sommer 1945 sieben deutsche Offiziere unter strengster Geheimhaltung in die USA geflogen wurden. Es handelte sich um die „Bolero-Gruppe“ – allen voran Reinhard Gehlen. Dieser hatte als Leiter der Generalstabsabteilung „Fremde Heere Ost“ drei Jahre lang die Rote Armee aufgeklärt. Kurz vor Kriegsende schaffte Gehlen Dokumente auf Mikrofilm beiseite, um sich damit den Amerikaner zu empfehlen. Neben fünf anderen Untergebenen war auch Major Lütgendorf mit von der Partie –obwohl er eigentlich nur kurz – im Februar 1945 – bei Fremde Heere Ost gedient hatte. Lütgendorfs Spionage-Karriere im endete jedoch abrupt: Die Unterkünfte waren abgehört worden und ausgerechnet er fiel mit antisemitischen Äußerungen auf. 1946 nach Rückkehr der Bolero-Gruppe wurde Lütgendorf von Frankfurt nach Salzburg abgeschoben. Gehlen dagegen baute den späteren Bundesnachrichtendienst (BND) auf und blieb bis 1968 dessen erster Präsident. Der Kontakt zu Lütgendorf soll nie abgerissen sein.

Der „Antipolitiker“

Lütgendorf war zunächst kaufmännisch tätig gewesen: Als Konsulent bei der Import-Export-Firma Meinl, dann Importeur chemischer Produkte und zuletzt im Management der Tiroler Röhrenwerke. Im Bundesheer stieg der Freiherr bis zum Brigadier auf und war Mitglied in der Bundesheer-Reformkommission. 1971 schlug Lütgendorf ein neues Kapitel auf: Ausgerechnet auf Empfehlung des damals noch relativ unbekannten Brillen-Designers Udo Proksch kürte Bundeskanzler Bruno Kreisky den Parteilosen zum Verteidigungsminister. 

Sprengstoff für Proksch?

Überschattet wurde Lütgendorfs Amtszeit von mehreren Skandalen: Erst nachträglich stellte sich heraus, dass er es seinem Freund Proksch 1976 ermöglicht hatte, 250 kg Sprengstoff bei „detonantionstechnischen Übungen“ abzuzweigen. Dieser sollte im Jahr darauf beim Untergang der „Lucona“ und ihrer mit 31 Millionen Schweizer Franken versicherten Schrott-Fracht zum Einsatz kommen. Zum Verhängnis aber wurde Lütgendorf seine Rolle als Förderer der heimischen Waffenindustrie. Zu Beginn der 1970er Jahre waren in Österreich nur zwei Betriebe – die Steyr-Daimler-Puch AG und die Hirtenberger Patronenfabrik – stärker in diesem Feld tätig. Das Arbeitsplatzargument und das Bestreben, eine autarke Produktion aufzubauen, rechtfertigten die weitere Expansion. Lütgendorf konnte bald vermelden: „Wir haben den Draht zwischen Armee und Technik kurzgeschlossen.“ Nunmehr waren bereits sieben Firmen in der Waffenproduktion tätig, was knapp 5.000 Jobs sicherte. Noch in den 1980er Jahren sollte diese Entwicklung in den Norcium-Skandal rund um illegale Exporte in die kriegsführenden Staaten Iran und Irak münden – mit fatalen wirtschaftlichen und politischen Folgen.

Das „Munitionsereignis“

Am 3. Dezember 1976 wurde eine Lieferung von 600 Steyr-Mannlicher-Scharfschützengewehren (SSG) sowie 399.600 Schuss Munition am Flughafen Schwechat vom Zoll aufgehalten. Die heikle Destination Syrien hatte Aufsehen erregt. Offizieller Absender war der Waffenhändler Alois Weichselbaumer. Er hatte die Munition leihweise aus Beständen des Bundesheeres erhalten hatte, weil Steyr-Daimler-Puch nicht rechtzeitig hatte liefern können. Da nach zehn Tagen das Bundesheer als Absender aufschien, konnten die 555 Kisten Österreich per Bahn Jugoslawien verlassen. Gesetzlich vorgeschriebene Bewilligungen wurden so umgangen. Weil es erneut Probleme gab, kam das Material Ende März 1977 wieder retour. Zu diesem Zeitpunkt steckte Lütgendorf bis zum Hals in einer Kontroverse rund um seine Rolle. Schließlich blieb kein anderer Ausweg, als am 31. Mai 1977 zurückzutreten.

„Förderer“ österreichischer Waffenexporte

Das Strafverfahren gegen Lütgendorf und Weichselbaumer wurde 1978 eingestellt. Man hielt dem Ex-Minister zugute, dass er „unwiderlegbar“ die Absicht verfolgt habe, „durch die Förderung der Exportbemühungen zunächst kurzfristig die Auftragslage im Waffenwerk Steyr zu verbessern und in weiterer Folge eine seiner Meinung nach für eine wirksame österreichische Landesverteidigung unbedingt notwendige eigene österreichische Waffenentwicklung und Waffenproduktion aufzubauen, […].“ Dieser Rolle widmete sich Lütgendorf nun als Privatmann. Für die Waffenindustrie, die 1979 durch den Einstieg der VOEST weiter wuchs, war er im Nahen Osten als Geschäftsvermittler unterwegs.

„Es waren Provisonsgelder“

Bis heute reißen die Spekulationen nicht ab, ob der Ex-Minister tags zuvor ermordet wurde. Viele Fragen sind offen: Obwohl Lütgendorf als verschuldet galt, wurden auf einem Schweizer Konto rund vier Millionen Schilling aus unbekannter Quelle gefunden.

Und zu guter Letzt, was ist mit den Unterlagen passiert, die im Frühjahr 1987 bei der Delogierung von Lütgendorfs ehemaliger Dienstwohnung weggeschafft wurden? Es soll sich um „Dossiers über Lütgendorf, […] Lütgendorfs sämtliche Waffengeschäftsverbindungen, sein persönliches Telefonbuch in Kopie“ und vieles mehr gehandelt haben.

Klar ist, Waffengeschäfte in „Spannungs- und Konfliktgebiete“ sind für Beteiligte alles andere als ungefährlich. Gerade in den 1980er Jahren häuften sich Todesfälle: Während des Falklandkriegs (1982) wurden zahlreiche Händler, die an die argentinische Junta belieferten, ermordet. Der Mord an Olof Palme (1986) wird immer wieder mit Deals der schwedischen Rüstungsschmiede Bofors in Zusammenhang gebracht. 1990 wurde der kanadische Ingenieur Gerald Bull in Brüssel erschossen – angeblich, weil für den Irak eine „Supergun“ konstruierte. Auch in Österreich starben einige prominente Zeugen, nachdem ab 1985/86 der „Noricum-Skandal“ geplatzt war. Die VOEST-Tochter „Noricum“ hatte sich mit dem illegalen Export von GHN-45 Haubitzen an die kriegsführenden Staaten Iran und Irak endgültig übernommen. Herbert Amry, der österreichische Botschafter in Athen, warnte als erster intern vor den Verwicklungen. Kurz darauf – am 11. Juli 1985 – erlitt er nach einem Abschiedsempfang einen Herzinfarkt. Auch der ehemalige VOEST-Generaldirektor Heribert Apfalter starb 1988 einen plötzlichen Herztod. Dasselbe Schicksal traf 1990 den Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Robert Danzinger, wenige Tage bevor er einer Zeugenladung nachgekommen wäre. 

Im Zuge des Untersuchungsausschusses zur Eurofighter-Affäre 2006/07 begründete ein geladener Lobbyist sein Schweigen deshalb so: „In dieser Branche ist Vertrauen und Verschwiegenheit nicht nur immer vertraglich geregelt, sondern ein absolutes Muss. Ein Vertragsbruch kann sehr unangenehme Folgen haben. Bezüglich möglicher Folgen erinnere ich an: Apfalter, Lütgendorf, Bull und andere. Ich bin daher bestrebt, alles zu vermeiden, um nicht den gleichen Weg dieser Herrn zu gehen.“

Mehr lesen: 

„Macht’s es unter der Tuchent“: Die Waffengeschäfte der österreichischen Verstaatlichten Industrie und der Noricum-Skandal, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Heft 1/2016.

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