„Partisanenspiele“ oder mehr? Die vergessene Geschichte des „SSV Kuenring“

Ende April 1959 flog die selbsternannte antikommunistische Partisanengruppe „SSV Kuenring“ auf, bevor sie Aktionen durchführen konnte. Unter Anleitung eines Zugführers des Bundesheers hatten die durchwegs „national“ gesinnten Jugendlichen die Sprengung von Wiener Donaubrücken geplant und paramilitärische Übungen abgehalten. Angeblich diente dies zur Vorbereitung auf eine mögliche Invasion der Roten Armee. Aber es gab auch Hinweise auf andere Hintergründe. Das ergeben neue Recherchen zur Frühphase des österreichischen Rechtsterrorismus, die gegen Jahresende veröffentlicht werden.

Insgesamt wurden zehn Jugendliche verhaftet. Mit der Ausnahme des mit 34 Jahren ältesten Beschuldigten, der HJ-Mitglied und bei der Wehrmacht eingerückt gewesen war, entstammten alle übrigen „durchwegs der Nachkriegsgeneration“, wie die Staatsanwaltschaft zusammenfasste. Teils waren sie von katholischen Jugendorganisationen relativ bald zum Verband der Unabhängigen (VdU) oder „zu sonstigen rechtsstehenden, ja zum Teil extrem rechtsstehenden Jugendverbänden“ gestoßen.

Am „intensivsten“ sei der Kontakt zur 1958 aufgelösten Freien Arbeiterbewegung Österreichs (FABÖ) gewesen. Der Großteil der Mitglieder schloss sich mit dem ehemaligen Obmann Alfred Hager Anfang 1950 der FPÖ an. Hager selbst hatte schon seit längerem eine „Kleinkaliberschießsektion“ gründen wollen, weil diese Jugendliche anspreche. Eine Beteiligung an der Verbindung bestritt er – und wurde auch nicht dahingehend belastet. Noch ein weiteres Vorstandsmitglied der FABÖ stand im Verdacht, von den Vorgängen zumindest gewusst zu haben.

Einer der Anführer des Geheimbunds war der 27jährige Gustav E.; dessen Vater hatte war seit März 1945 kriegsvermisst. Mit 18 Jahren war E. dem VdU beigetreten. Nur ein Jahr später, während vorübergehender Beschäftigung bei der Österreichischen Bundesbahn, wurde er SPÖ-Mitglied. Nach zwei Jahren trat E. wieder aus und gehörte anschließend verschiedenen Vereinen an wie der Nationalen Jugend, der Nationalen Arbeiterbewegung, der Freiheitlichen Sammlung Österreichs, dem Bund Junges Österreich, dem Bund Heimattreuer Jugend und der FABÖ. Vorübergehend war E. auch verantwortlicher Redakteur der Zeitschriften „Der Stoßtrupp“ und „Der Angriff“, von denen jedoch nur wenige Nummern erschienen.

Abgesehen von einem weiteren Mitglied, das „politisch rege und betont national“ eingestellt war, war die Mehrzahl der Beteiligten „weniger politisch aktiv hervorgetreten“. In einer Sachverhaltsdarstellung heißt es weiters: „Bemerkenswert ist, dass sowohl alle nunmehr Anzuklagende als auch die übrigen in das gegenständliche Verfahren verwickelten Jugendliche Beschuldigten, die zum Teil zumindest auch als sogenannte ‚Halbstarke‘ anzusprechen sein dürften, eine übertriebene Vorliebe für Waffen hatten. Wahrscheinlich wurde diese sicherlich auch bei vielen politisch desinteressierten Jugendlichen vorhandene Neigung durch die rechtsextremen ideologischen Einflüsse, denen sie ausgesetzt waren, gesteigert, zumal ja in diesen Kreisen die Kriegstaten namentlich der deutschen Wehrmacht besonders gewürdigt und verherrlicht werden und in manchen Jugendlichen der Trieb, es den Vorbildern nachzutun, geweckt wird.“

Im Herbst 1958 sei dann der Plan herangereift, eine „bewaffnete Verbindung, ähnlich den seinerzeitigen Wehrverbänden in der Zeit der ersten Republik oder der SA, einem der Wehrverbände der NSDAP zu bilden.“ Man bemühte sich daher Gleichgesinnte zu finden und veranstaltete gemeinsam mit anderen „betont national“ gesinnten Jugendlichen Ausflüge, die als Nachtmärsche oder Geländeübungen bezeichnet wurden. Die Jugendlichen besorgten sich auch „einige Militärgewehre“ und verschiedene Pistolen, mit denen Schießübungen in den Donauauen im Bereich der Gemeinde Pillichsdorf im Frühjahr, Sommer und Herbst 1958 durchgeführt wurden.

Einer von ihnen – Gottfried F. – lernte bei der Fallschirmspringerausbildung im österreichischen Aero-Club den Zugsführer Wolfgang M. kennen. Gelegentlich sprach man über die Pläne und die Notwendigkeit, „die Mitglieder dieser Verbindung entsprechend militärisch auszubilden und Wolfgang M. hierfür der geeignete Mann sei“. Hierauf kam es zu mehreren Zusammenkünften, bei denen ein Ausbildungsplan beschlossen und die Versorgung mit verschiedenen Waffen sowie Munition zugesagt wurden. M. gab bei seiner Einvernahme an, man habe ihm gesagt, dass es sich um einen „Zusammenschluss von jungen Männern und Burschen“ handle, „welche im Sinne Österreichs gegen eventuelle Angriffe auf unsere Heimat insbesondere von Osten her zu einem militärischen Widerstand zweckmäßig vorgebildet wären.“

Der damals 24jährige M. diente als Zugführer und Gruppenkommandant bei der Stabskompanie der Infanterie-Kampfschule in Großenzersdorf. Zu nationalen Kreisen hatte er angeblich „keinen näheren Kontakt, wenn er auch einige der national eingestellten Beschuldigten privat kannte“. Allerdings befand er sich „in äußerst schlechten finanziellen Verhältnissen“ und hatte zahlreiche „kleinere Schulden“ bei Kameraden. Dass M. in der Vergangenheit einen kommunistischen Hintergrund hatte, ließ bei den Behörden den Verdacht reifen, es könnte sich um eine Provokation handeln. M. war als Teilnehmer an den Weltjugendfestspielen in Bukarest vorgemerkt: „Den ha. Vormerkungen zufolge war er Mitglied der FÖJ [Freie österreichische Jugend], war Maschinenschlosser der USIA-Firma Wiener Brückenbau AG. Während seiner Tätigkeit in dieser Firma wird er als aktiver Kommunist beschrieben.“

Für die Gruppe beschaffte M. über einen Waffenmeister eine russische Maschinenpistole, je eine russische und eine belgische Militärpistole, „wenigstens 70 Stück Maschinenpistolenmunition“, „wenigstens 100 Stück Karabinier bzw. MG-Munition“ sowie drei Signalkanonenschläge und 20 Stück Blitzknaller, die er an Gottfried F. übergab. In weiterer Folge fand einige Male in der Wohnung eines Beschuldigten, einmal in der Nähe der Urania sowie einmal bei der Floridsdorferbrücke Unterricht statt, wozu M. auch Geräte mitbrachte, die ihm aufgrund seiner Funktion als Zugführer anvertraut worden waren.

Die Ausbildung lief laut M. so ab: „Wir trafen uns in dieser Zeit bis knapp vor dem Weihnachtsfeiertagen 1958 vier Mal in losen Gruppen und in Gesellschaft von jeweils 10-14 Mann und zwar nur an Sonntagen in den Vormittagsstunden im Floridsdorfer Wasserpark bei der Marienbrücke, Aspernbrücke und Verbindungsbahnbrücke beim Donaukanal sowie bei einem gewissen H. in Wien 21., in der Nähe des Wohnortes von E. wohnhaft. Es wurden im freien Gelände übungshalber Skizzen von Brückenanlagen angefertigt und Positionen festgestellt. Unter anderem wurden auch bei projektierten Sprengungen die jeweiligen Haftpunkte an den Brückenteilen festgehalten. Die Leute erkundigten sich dann im Zuge der Unterhaltung nach dem Sprengstoff C3 [Plastiksprengstoff] bzw. Kapalsprengstoff [?] und konnte ich dabei die Wahrnehmung machen, dass drei der Gruppe ehemalige Heeresangehörige und einer der Gruppe ein ehemaliger Polizist gewesen sein musste, da diese sowohl über militärische Angelegenheiten und Sprengstoffwesen genauestens informiert waren. […] Die Aussichtslosigkeit des Unternehmens erschien mir insoferne, als bei den Zusammenkünften zwangsläufig eine Unpünktlichkeit und Undiszipliniertheit herrschte.“

Die „bewaffnete Verbindung“ war für einen bestimmten Anlassfall geplant, nämlich dass Truppen des Warschauer Pakts in Österreich einmarschieren würden. Dann, so der Plan, würde man sich ins Gebirge zurückziehen und als Partisanen operieren. Der brisanten Frage, ob es sich hier nicht bloß um „Phantastereien und Angebereien“, sondern um ein militärisches Projekt gehandelt haben könnte, wurde nur in Ansätzen nachgegangen. Wie sich E. in Vernehmungen äußerte, sei dieses Vorhaben „seitens des BMf [Bundesministeriums für] Landesverteidigung und höheren Offizieren“ zumindest „geduldet“ worden. E. wollte gar erfahren haben, dass der zuständige Kulturreferent an einer „vormilitärischen Ausbildung von Jugendgruppen“ interessiert gewesen sei. Ein anderer Zeuge wollte erfahren haben, „dass ein angeblich monarchistisch eingestellter Major oder Hauptmann […] damit zu tun habe“. Man kam jedenfalls zum Schluss, dass es nicht nachweisbar war, dass die Jugendlichen geplant hatten, „gegen die bestehende staatliche Ordnung in Österreich“ vorzugehen.

F. gab bei seiner Einvernahme an: „Wir beabsichtigten die Zusammenfassung von jungen Männern und Burschen und fassten hierbei primär eine vormilitärische Erziehung sowie eine eventuelle Ausbildung im Fallschirmspringen ins Auge. Die so Ausgebildeten wären in weiterer Folge in das Bundesheer eingegliedert worden. Es ist richtig, dass diese Ausbildung gleichzeitig den Zweck verfolgte, im Falle einer Bedrohung der Grenzen unserer Heimat durch Truppen feindlicher Mächte insbesondere von Osten her, innerhalb einer geräumten Zone und eines vom Feind bereits besetzten österreichischen Gebietes eine Kampftätigkeit zu entfalten. Diese Disposition wurde meines Wissens auch seitens einem mir nicht bekannten Kulturreferenten im Bundesministerium für Landesverteidigung bekannt und sollte eine solche Verbindung zwischen uns und dem Ministerium hergestellt werden.“

Bereits Ende 1958 soll sich abgezeichnet haben, dass die Jugendlichen ihr Vorhaben aufgeben wollten. Die am 13. November 1958 erfolgte Vereinsanmeldung des SSV Kuenring = Sport – Spiel – Vergnügen als Tarnung für die Aktivitäten wurde am 10. Dezember 1958 wieder zurückgezogen. Den Sicherheitsbehörden waren sowohl die Waffenverkäufe als auch die Schulungen durch M. seit November 1958 bekannt. Man verfügte über eine Quelle, die es ermöglichte, die Jugendgruppe „unter ständiger Beobachtung“ zu halten. Der Zugriff erfolgte aber erst im April 1959, als „informativ“ gemeldet wurde, „dass die Jugendlichen beabsichtigen, als Demonstration für Südtirol im Urlaub an die österreichische Grenze zu fahren, um dort italienische Organe niederzuschießen“. Wie die Staatsanwaltschaft am 24. April 1959 berichtete, sei die Rede davon gewesen, einen Zollwachebeamten zu erschießen: „Es soll auch geplant gewesen sein, die Autoreifen von Urlaubsreisenden, die nach Italien fahren wollen, zu zerschneiden. Konkrete Verdachtsmomente in dieser Richtung bestehen jedoch derzeit nicht, weshalb eine Voruntersuchung in Richtung des § 7 Staatsschutzgesetz noch nicht eingeleitet wurde.“

Darüber hinausgehende terroristische Absichten, die von den Medien in den Raum gestellt wurden, wurden intern dementiert: „Es wird festgestellt, dass verschiedene Zeitungen über diese Amtshandlung übertriebene Mitteilungen brachten. Insbesondere bestand – soweit bisher ermittelt werden konnte – weder ein Plan, ein Attentat auf die italienische Botschaft in Wien zu verüben noch die im Juli 1959 in Wien stattfindenden Weltjugendfestspiele zu stören oder in absehbarer Zeit in Österreich Brückensprengungen oder andere Sabotage- oder Terrorakte zu verüben.“

Die Vorbereitung des Partisanenkampfs sei im Vordergrund gestanden. Diese Sichtweise wurde dann auch in der Anklageschrift vertreten: „Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Pläne der jungen Beschuldigten nicht dramatisiert oder übertrieben werden sollten.“ Die Art und Weise, wie hier vorgegangen worden sei, spreche eher für „jugendliche Unbesonnenheit“ als für eine „staatsgefährdende Aktion“. Sie planten eine Art vormilitärischer Ausbildung (Nachtmärsche, Schießübungen usw.), hielten untereinander Vorträge über militärische Themen (Brückensprengen und ähnliches) und besprachen die Anlegung von Waffenlagern.

Am 4. Dezember 1959 wurden in der Causa schließlich milde Urteile gefällt, die Strafen waren aufgrund der Untersuchungshaft für die meisten Angeklagten bereits verbüßt. Der Hauptangeklagte M. erhielt acht Monate, E. sieben Monate und F. sechs Monate Kerker. Von der Anklage der Gründung und Beteiligung an einer bewaffneten Verbindung erfolgte seitens der Geschworenen ein Freispruch. Diese hatten sich der Ansicht der Verteidigung angeschlossen, wonach die Angeklagten nur straflose Vorbereitungshandlungen gesetzt hatten.

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