Einen guten Überblick hinsichtlich der Aktivitäten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in Bezug auf die westdeutsche Neonaziszene gibt der hier zu besprechende Band. Wie der Journalist Andreas Förster darlegt, hatte das MfS dort nicht nur mehr als 70 Informanten, es fanden auch führende Rechtsextremisten in der DDR Unterschlupf. Gleich drei Unterabteilungen der 1975 gegründeten Hauptabteilung XXII des MfS waren für rechtsextreme und konservative Gruppen zuständig.
Nun sind diese Vorgänge bereits Thema von wissenschaftlichen und journalistischen Publikationen gewesen. Förster ist aber zugute zu halten, dass seine Monografie die Aktenlage in der Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) gut lesbar bündelt und viele noch nicht bekannte Aspekte in Fallbeispielen herausschält. Immer wieder ergeben sich dabei auch Hinweise auf ähnliche Aufklärungsbestrebungen seitens des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) und anderer westlicher Nachrichtendienste.
Wenn es gleich eingangs um das Motiv für die sehr umfangreiche Aufklärung geht, so streicht Förster heraus, dass das MfS primär auf „Informationsgewinnung“ aus war – „um geplante Anschläge und sogenannte Demonstrationstaten gegen die DDR, die innerdeutsche Grenze und DDR-Politiker zu verhindern“. Darüber hinaus habe das MfS mögliche Sympathisanten der westdeutschen Rechten in der DDR vorbeugend erfassen wollen.
Von „untergeordneter Bedeutung“ sei es gewesen, Erkenntnisse propagandistisch auszuschlachten. Alternative Erklärungsansätze, die gerade in letzterem Aspekt den Hauptantrieb des MfS ausmachen, sieht Förster durch die Quellen „nicht gedeckt“ – ebenso wenig wie eine angebliche Instrumentalisierung der westlichen Neonazis zur terroristischen Destabilisierung der BRD. (12)
Das MfS habe das „neonazistische Potential“ also deswegen mit viel Akribie erfasst, um frühzeitig über die Absichten rechtsextremer Gruppen im Bilde zu sein. 1988 waren bereits „die meisten der damals rund 200 wichtigsten Führungskräfte und einflussreichen Einzelpersonen der Szene erfasst“. (36f.) Zu den Aufklärungsschwerpunkten zählten auch politische Formationen wie die 1983 gegründeten rechtskonservativen Republikaner (REP). Insbesondere deren prononciert antikommunistischer Westberliner Landesverbandwurde als Gefahr angesehen. Das MfS erlangte aber auch aus Telefonüberwachung Hinweise auf Kontakte der REP-Führung zu einem namentlich nicht bekannt gewordenen BfV-Mitarbeiter. (48)
Noch kurioser waren solche Überschneidungen im Falle des rechten CDU-Politikers Heinrich Lummer. Anfang der 1980er Jahre überwachte der Staatsschutz der Westberliner Polizei Personen aus dem Umfeld Lummers sowie dessen Autotelefon – „und wurde dabei wiederum von den Stasi-Lauschern abgehört“. (62)
Ins Visier des MfS geriet auch der „erste Reichsbürger der Bundesrepublik“, Wolfgang Ebel. Der ehemalige Fahrdienstleiter der DDR-S-Bahn in West-Berlin hatte nicht nur als Streikführer auf sich aufmerksam gemacht, sondern auch weil er Personalausweise, Reisepässe, Führerscheine und weitere Dokumente seines „Deutschen Reiches“ vertrieb. So wurde er zum Vorläufer der Reichsbürgerbewegung, die sich mittlerweile zu einer gefährlichen Strömung des Rechtsradikalismus entwickelt hat. (67-74)
Einen Informanten hatte das MfS in den antikommunistisch eingestellten Grauen Wölfen in West-Berlin. Ab Mitte der 1980er Jahre erstattete der Mann mit dem Decknamen „Sultan“ bei monatlichen Treffen Bericht – unter anderem zu einer Terrorzelle, die sich in Ulm gebildet habe. (79f.) Solche V-Leute waren überwiegend Selbstanbieter, die aus finanziellen Beweggründen Kontakt zum MfS aufnahmen. Ein besonderer Fall war der IMB (Inoffizielle Mitarbeiter-Akte B) „Manne Meister“: Er bekam für seine „Szenebeobachtung“ nicht nur 10.000 D-Mark. Seine Betreuer spendierten ihm eine Dauerkarte für die Tribüne des Jahn-Sportparks, wo er den Spielen des BFC Dynamo beiwohnen konnte. (86-90)
Tragisch dagegen endete die Spitzelkarriere eines Maurerlehrlings, den man 1981 wegen seiner Mitgliedschaft bei der Wiking-Jugend rekrutiert hatte. Als sich der junge Mann kurze Zeit später aus der Szene löste und sich bedroht fühlte, zeigte man ihm die kalte Schulter. Zwei Monate später wurde er erhängt aufgefunden, laut Untersuchung war es Selbstmord. (107-114)
Besonders brisant waren Kontakte des MfS zu gesuchten Rechtsterroristen, denen mitunter Unterschlupf gewährt wurde – um sie währenddessen „abzuschöpfen“. So nutzte der inhaftierte Bankräuber und Offizier des PLO-Geheimdienstes, Udo Albrecht, eine Begehung an der innerdeutschen Grenze am 29. Juli 1981 zur Flucht. Seine Bewacher wurden von den DDR-Grenzern mit vorgehaltener Waffe gestoppt.
Albrecht war zuvor in Attentatsplanungen der PLO in Westeuropa verstrickt gewesen. Er war einer der führenden Köpfe hinter der Allianz zwischen westdeutschen Neonazis und der PLO, sie sich Anfang der 1970er Jahre herausgebildet hatte. Bereits eine Woche nach Albrechts Flucht erschien einer der Leiter des PLO-Sicherheitsdiensts in Ost-Berlin, um die baldige Ausreise Albrechts nach Beirut in die Wege zu leiten. (144-164)
Ein weiterer Rechtsterrorist, mit dem sich das MfS einließ, war Odfried Hepp. Dessen Gruppe hatte 1982 mehrere Bombenschläge gegen US-Soldaten verübt. Bereits währenddessen war Hepp „alle zwei, drei Monate“ nach Ost-Berlin gekommen, um gegenüber dem MfS auszupacken. Nach Auffliegen seiner Gruppe ermöglichte ihm das, in die DDR zu fliehen. Man stattete ihn mit einer neuen Identität aus und ermöglichte die Ausreise in den Nahen Osten, wo sich Hepp der Palestine Liberation Front (PLF) anschloss. (197-205)
Bislang kaum bekannt sind Erkenntnisse des MfS zu Heinz Lembke, der Dutzende Waffendepots im Süsinger Forst bei Uelzen angelegt hatte. Lembke, so wird spekuliert, sei in Wirklichkeit Mitglied einer vom Bundesnachrichtendienst (BND) gesteuerten Stay Behind Organisation(SBO) gewesen. Doch laut der MfS-Akte, die Förster zitiert, hatte Lembke Waffen und Sprengmittel von einem unbekannten Bundeswehrangehörigen erhalten, „der für die Vernichtung von alten Waffen und überlagerter Munition verantwortlich war“. (189)
Und schließlich präsentiert Förster einen MfS-Bericht, der nahelegt, dass die Schlüsselfigur des westdeutschen Neonazismus, Michael Kühnen, bereits während seiner Haft mit dem BfV in Verbindung stand. Belege dafür gibt es nicht.
Letzterer Aspekt verdeutlicht, dass das MfS ein problematischer Kronzeuge ist und die überlieferten Erkenntnisse mit Vorbehalt betrachtet werden müssen. Förster plädiert daher abschließend für eine „vergleichende Analyse der in Ost und West damals vorliegenden Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden“. (233) Sein nüchtern-sachlich gehaltenes Buch ist jedenfalls ein guter Ausgangspunkt für weitere Forschung. Dass die Aufklärung des westdeutschen Neonazismus freilich auch in „aktive Maßnahmen“ zur Diffamierung der BRD an der „Meinungsfront“ einfloss, bleibt ein unterbelichteter Aspekt.
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