Explosion an Bord der „Steiermark“

Vor 50 Jahren geriet Österreich zum ersten Mal ins Fadenkreuz des internationalen Terrorismus.

21. Februar 1970, 10.47 Uhr: Die AUA-Caravelle „Steiermark“ befindet sich nach Start in Frankfurt am Main gerade einmal acht Minuten in der Luft. Im Steigflug hat man eine Höhe von 3.000 m über dem Odenwald erreicht. 33 Passagiere und fünf Besatzungsmitglieder befinden sich an Bord. Die Destination ist Wien. Was dann geschieht, schildert die Kronen Zeitung anderntags so:

„Die Stewardessen servierten Kaffee und Erfrischungen, als plötzlich eine heftige Explosion die Maschine erschüttert. Einen Augenblick später leuchte das Schild ‚Bitte anschnallen und nicht rauchen‘ auf. Der Kabinendruck hatte rapide nachgelassen, die Passagiere klagten über Ohrenschmerzen.“

Flugkapitän Herbert Till, damals 35 Jahre alt, meldete über den Lautsprecher, dass die Druckkabine defekt geworden sei und man deswegen nach Frankfurt zurückkehre. Tatsächlich war im vorderen Frachtraum eine Bombe detoniert und hatte ein etwa 80 x 50 cm großes Loch in den Rumpfwand gerissen. Trotz des erheblichen Schadens gelang es Till die „Steiermark“ notzulanden. Alle an Bord kamen mit dem Schrecken davon.

Bild aus der Arbeiter-Zeitung vom 22. Februar 1970

Es wurde trotzdem ein schwarzer Tag. Denn nur knapp zwei Stunden nach der Explosion an Bord des AUA-Flugs stürzte die Swiss Air-Maschine „Basel Land“ in den Unterwald westlich von Würenlingen im Schweizer Kanton Aargau. Alle 47 Insassen – 38 Passagiere und neun Besatzungsmitglieder – fanden den Tod. Ausgelöst wurde die Katastrophe ebenfalls durch eine Bombenexplosion. Diese hatte im Unterschied zum Vorfall an Bord der „Steiermark“ verheerende Folgen.

Im Frachtraum entwickelte sich ein Brandherd, der sich rasch ausbreitete. Dichter Rauch nahm den Piloten die Sicht auf die Instrumente. Der letzte verzweifelte Funkspruch an den Tower in Zürich-Kloten lautete: „Goodbye everybody“. Die Maschine ging schließlich in einer steilen Linkskurve in den Sturzflug über und raste mit 770 Stundenkilometer in den Wald. Der anschließende Feuerball von 30 Tonnen Kerosin ließ Passagiere und Flugzeug regelrecht verglühen.

Denkmal am Absturzort der Swiss Air (Credit: Voyager/Wikimedia Commons)

Aus den Ermittlungsunterlagen wird deutlich: Die „Steiermark“ war nur knapp einer ähnlichen Katastrophe entgangen. Ein Kommando der Volksfront zur Befreiung Palästinas, Generalkommando (PFLP-GC) hatte zwei Bomben in Radioapparaten eingebaut – mit einem Höhenmesser des Typs Altimeter 50 M als Auslöser. Jene Bombe, die an Bord der „Steiermark“ explodierte, wurde in Frankfurt am Main aufgegeben. Weil die El-Al aber am 21. Februar 1970 nicht flog, wurde die Paketpost kurzerhand umgeleitet und gelangte so durch die damals lückenhaften Kontrollen an Bord der „Steiermark“.

Im Schlussbericht der Sicherungsgruppe Bonn-Bad Godesberg heißt es dazu:

„Es ist wahrscheinlich, dass der Anschlag nicht der Maschine der österreichischen Luftfahrtgesellschaft AUA, sondern einem Linienflug der israelischen Luftfahrtgesellschaft El-Al gegolten hat. Diese Maschine flog laut Flugplan Februar 1970 als einziges israelisches Flugzeug an Samstagen (21.2.1970) von Frankfurt/M. nach Tel Aviv. Die Tatsache, dass aus postökonomischen Gründen mit diesem Flugzeug keine Pakete befördert wurden, blieb Außenstehenden, zu denen auch die Tatverdächtigen zu rechnen sind, verborgen.“

Die „Steiermark“ hatte großes Glück gehabt. Wäre die in einem Postsack versteckte Bombe nicht an der äußeren Wand, sondern in der Mitte des Frachtraums gelegen, wäre ein Absturz womöglich nicht zu vermeiden gewesen. Pilot Till gab gegenüber der Arbeiter-Zeitung an:

„Je höher das Flugzeug steigt, umso größer wird der Druckunterschied zwischen Innenraum und Außenwelt. Dadurch wäre auch das Leck im Rumpf des Flugzeugs größer geworden, da die Druckwelle bei der Explosion stärker gewesen wäre. In einem solchen Fall hätten auch alle Bemühungen, das Flugzeug zum Landen zu bringen, nichts genützt. Die Caravelle wäre unweigerlich in die Tiefe gezogen worden.“

Die zufällige Lage des Bombenpakets in der Nähe der Außenbeplankung und die Abschirmung zum Flugzeugsinneren durch dichte Zeitungsbündel waren verantwortlich dafür, dass sich die Explosion nicht ähnlich fatal wie bei der Swiss Air auswirkte. Ein weiterer glücklicher Umstand war, dass die schwer beschädigte „Steiermark“ noch nicht die normale Flughöhe von 8.000 m erreicht hatte, als der Höhenmesser die Explosion auslöste – andernfalls wäre es zu der von Till beschriebenen Implosion gekommen.

Grafik aus der Arbeiter-Zeitung vom 22. Februar 1970

Die zweite Bombe, die die Swiss Air-Maschine abstürzen ließ, wurde nach neuen Hinweisen nicht wie lange geglaubt in München, sondern in Zürich aufgegeben. Aus einer Analyse des US-amerikanischen Federal Bureau of Investigation, die wenige Monate nach dem Anschlag erstellt wurde, geht hervor: Die PLFP-GC hatte Hilfe von zwei unbekannten Westdeutschen, angeblichen Sympathisanten. Einer von ihnen habe das Paket aufgegeben, der andere sei Elektroingenieur gewesen und habe auch bei der Bombenherstellung unterstützt. Wenn diese Information zutrifft, dann war Swiss Air kein Zufallsopfer, sondern wurde bewusst ins Visier genommen.

Wie dem auch sei, der Doppelanschlag und vor allem die vielen Opfer bedeuteten Anfang der 1970er Jahre einen Schock: Mit einem Mal war der Nahostkonflikt bedrohlich nahe gerückt. In Österreich wurden die Sicherheitsmaßnahmen umgehend verschärft, wie Die Presse berichtete:

In Wien hat Polizeipräsident Josef Holaubek angeordnet, dass alle israelischen und arabischen Vertretungen, Flugbüros und sonstige gefährdete Objekte von der Zentralstreife des Wiener Sicherheitsbüros in die Überwachung einbezogen werden.“

Im Fokus der „Sicherheitsoffensive“ befand sich insbesondere der Flughafen Wien-Schwechat, der von schwerbewaffneten Polizisten abgesichert wurde.

Wie aus dem Protokoll des Ministerrats hervorgeht, hatte die Flughafenbetriebsgesellschaft Schwechat Innenminister Franz Soronics (ÖVP) per Fernschreiben ersucht, „wegen der erfolgten Bombenattentate auf zivile Verkehrsflugzeuge, verschiedene Maßnahmen zu setzen“. In Absprache mit dem Außenministerium unter Kurt Waldheim (ÖVP) wurde etwa die Visaerteilung an arabische Staatsangehörige eingeschränkt. Diese Handlungsschritte wurden zweimal befristet verlängert, bevor das Ministerkomitee unter Vorsitz von Bundeskanzler Josef Klaus (ÖVP) alles absegnete. Das führte zu einem kritischen Medienecho, weshalb Soronics sich im Ministerrat erklärte:

Auszug aus dem Ministerratsprotokoll vom 3. März 1970

Die Visa-Einschränkungen sorgten für Missstimmung in der arabischen Welt. Bei einem Empfang in der Schweiz kritisierte der algerische Boschafter die Maßnahmen „in scharfer Form“:

„Er erklärte, dass die österreichische Regierung Entscheidungen getroffen habe, ohne sich vorher über deren Auswirkungen klar zu werden. […] Er beklagte sich auch über das, wie er sich ausdrückte, rassistische und diskriminatorische Vorgehen der innerösterreichischen Behörden gegenüber den in Österreich lebenden arabischen Staatsbürgern, vor allem Studenten.“

Bericht des österreichischen Botschafters in Bern fasst die Reaktion arabischer Staaten auf die Bombenanschläge zusammen

Die Ereignisse hatten die Öffentlichkeit zweifellos aufgewühlt. So sagte der damalige Oppositionsführer Bruno Kreisky (SPÖ) etwas, dass heute noch vertraut klingt: „Man muss die Illusion der Terroristen zerstören, mit solchen Methoden die Staaten in die Knie zwingen zu können.“

Verantwortlich für die bis dahin schwersten Anschläge in der Geschichte der Zivilluftfahrt war eine der berüchtigtsten palästinensischen Terrorgruppen: Die PLFP-GC. Gegründet 1963 von Achmed Jibril hatte sich die Organisation nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 der kommunistisch orientierten PLFP angeschlossen. Diese hatte weltweite Aufmerksamkeit auf sich gezogen, indem sie ab Ende der1960er Jahre damit begann, westliche Passagierflugzeuge zu entführen.

Schon 1968 spaltete sich Jibril wieder ab. Seine PLFP-GC ging daraufhin einen Schritt weiter und schon damals wurde die Schweiz zum Terrorschauplatz: Am 18. Februar 1969 feuerten vier Attentäter 62 Schüsse auf eine El-Al-Maschine auf dem Flugfeld des Züricher Flughafens Kloten. Der Co-Pilot kam dabei ums Leben, während einer der Terroristen von einem israelischen Sicherheitsmann erschossen wurde.

Im Falle der Bombenexplosionen an Bord der AUA und Swiss Air-Flüge entkamen die Attentäter: Der damals 29jährige Sufian Kaddoumi und der 43jährige Badawi Mousa Jawher konnten sich rechtzeitig nach Jordanien absetzen. Zwei Helfer wurden in der BRD festgenommen, aber im Juni 1970 in den Nahen Osten abgeschoben. Kaddoumi, laut den Ermittlern der „Kopf“ des Unternehmens, hatte zwischen Anfang Jänner 1961 bis Jänner 1962 in der Wiener Porzellangasse als Untermieter gewohnt und sich gute Deutschkenntnisse angeeignet. Angeblich war er als „politischer Fanatiker“ aufgefallen. Für die Tat musste sich Kaddoumi nie verantworten – laut der Staatsanwaltschaft Frankfurt soll er 1996 im Alter von 55 Jahren gestorben sein.

In der Schweiz sind die Untersuchungen zum Absturz bei Würenlingen längst eingestellt worden. Wie die Neue Züricher Zeitung (NZZ) im Dezember 2014 meldete, dürften die Ermittlungen im Sand verlaufen sein, weil „erpresserische Drohungen“ erfolgten:

„Bei einem Verzicht auf die Strafverfolgung Kaddoumis und seines Komplizen sollten im Gegenzug die Schweiz und die Fluggesellschaft Swissair von weiteren Terroranschlägen verschont bleiben. Sogar von der Zahlung angeblicher ‚Schutzgelder‘ ist verschiedentlich die Rede.“

Auch die drei überlebenden Attentäter von Zürich-Kloten wurden Oktober 1970 freigelassen worden – im Austausch für Passagiere eines Swiss Air Flugs, den die Palästinenser gemeinsam mit anderen internationalen Flügen nach Jordanien entführt hatten.

Das alles hatte weitreichende Folgen. Wie der NZZ-Reporter Marcel Gyr in seinem Buch „Schweizer Terrorjahre“ (2016) darlegte, schloss die Regierung in Bern schon 1970 ein informelles „Stillhalteabkommen“, im Sinne von „wir lassen uns gegenseitig in Ruhe und legen uns keine Steine in den Weg.“ Im Gegenzug dafür, von weiteren Anschlägen verschont zu bleiben, habe man der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) Bewilligungen für ein Büro bei der UNO in Genf in Aussicht gestellt und bei der Einreise palästinensischer Diplomaten „weiterhin beide Augen zugedrückt“.

Andere Länder zogen nach. Frankreich, Italien und auch Österreich schlossen noch bis in die 1980er Jahre informelle Abkommen mit verschiedenen palästinensischen Terrorgruppen. Auch die BRD und die USA trafen mitunter Abmachungen. Das Ergebnis war durchwachsen: Auch wenn maßgebliche  Teile der PLO ab Ende der 1970er Jahre keine internationalen Ziele mehr angriffen, gab es radikale Splitter, die die Agenda ihrer staatlichen Sponsoren verfolgten und Anschläge in Westeuropa durchführten. Eine dieser Gruppen – die für die Bombenattentate 1970 verantwortliche PLFP-GC – kämpft heute noch loyal an der Seite des Regimes von Baschar al-Assad im syrischen Bürgerkrieg.

Die Akte Würenlingen hingegen wurde 2018 von der Schweizer Bundesanwaltschaft wegen Verjährung endgültig geschlossen.

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