Das NATO-Stay behind-Netzwerk, auch bekannt unter seinem italienischen Codenamen „Gladio”, ist mittlerweile zum Synonym für Staatsterror geworden. Als Partisanentruppe für den Fall einer Invasion des Warschauer Pakts konzipiert, soll Stay behind auch aktiviert worden sein, um kommunistische Machtübernahmen zu verhindern. Terrorakte wurden angeblich inszeniert, um spannungsgeladene Situationen zu erzeugen.
Diese Annahmen gilt es kritisch zu hinterfragen. Kürzlich freigegebene Dokumente zum Hintergrund und Aufbau von Stay behind im Nachkriegs-Österreich erlauben einen faktenbasierten Zugang. Zusammengefasst geht es darum, eine nüchterne Bewertung dieses kontroversen Themas vorzuschlagen.
Damit zum Ausgangspunkt: 2005 hat der Schweizer Historiker Daniele Ganser das Buch NATO’s Secret Armies: Operation Gladio and Terrorism in Western Europe veröffentlicht. Es wurde seitdem in 10 Sprachen übersetzt und hat viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Hauptgrund, warum „NATO’s Secret Armies” bis heute viel Echo findet, ist, dass Ganser eine auf den ersten Blick plausible Erklärung dafür präsentiert, warum Westeuropa in den 1970er und 1980er Jahren unter Terrorismus zu leiden hatte.
Ganser zufolge sind bis heute ungeklärte Anschläge in Italien, Belgien oder der BRD in Wirklichkeit von „Geheimarmeen“ der NATO, also Stay behind, begangen worden. Diese hätten eine größere Rolle im geopolitischen Kontext des Kalten Krieges erfüllt. Und zwar indem sie mit „False Flag Terrorism“, also Anschlägen, denen man der extremen Linken in die Schuh schob, die öffentliche Meinung manipulierten. Ziel sei es gewesen, Rückhalt für den konservativen Status Quo und eine transatlantische Ausrichtung zu erzeugen.
Diese und andere bis in die 1990er Jahre zurückreichende Behauptungen verschiedener Autoren sind mittlerweile vielfach aufgegriffen worden, sodass man von einem regelrechten Stay behind oder Gladio-Mythos sprechen kann. Dieser treibt vor allem im Social Media-Bereich teils besorgniserregende Blüten. Aber nicht nur dort. Russia Today Deutschland widmete beispielsweise dem Thema jüngst Aufmerksamkeit – mit eindeutig politischer Stoßrichtung.
Verbindendes Merkmal ist, dass die wenigen gesicherten Fakten mit Gerüchten und Annahmen vermischt werden, um eine vorgefasste Meinung zu bestätigen: Dass die USA Stay behind benutzt haben, um eine imperialistische Agenda durchzusetzen und dabei nicht einmal vor Terror gegen Zivilisten zurückschreckten. Generell werden Geheimdienste als allmächtige und dunkle Kräfte dargestellt, die die Interessen der Eliten durchsetzen. Stay behind oder Gladio sind zu Codewörtern für alle möglichen staatlich gesponserten Verbrechen geworden und entfernten sich damit immer mehr vom eigentlichen historischen Kontext.
Damit zurück zu „NATO’s Secret Armies“: Ganser zitiert darin den italienischen Neofaschisten Vincenzo Vinciguerra, der selbst ein Attentat begangen hat, dass dann von den Carabinieri und den Geheimdiensten den linksextremen Roten Brigaden angelastet wurde:
„Man musste Zivilisten angreifen, Männer, Frauen, Kinder, unschuldige Menschen, unbekannte Menschen. Der Grund dafür war einfach: Die Anschläge sollten die Menschen, das italienische Volk, dazu bringen, den Staat um größere Sicherheit zu bitten.“
Allerdings haben zahlreiche Untersuchungen in Italien bis heute keine Beweise dafür erbracht, dass Gladio/Stay behind in die zahlreichen Attentate, die das Land zwischen 1969 und Anfang der 1980er Jahre erschütterten, aktiv verwickelt war. Was es aber sehr wohl gibt, sind Indizien, die nahelegen, dass Parallelstrukturen der italienischen Geheimdienste sowohl in Putschvorbereitungen als auch in Anschläge verwickelt waren. Teils handelte es sich dabei um die sogenannten Zellen zur Verteidigung des Staates, die Ganser in seinem Buch nicht einmal erwähnt. 2015 wurden erstmals ein Neofaschist und ein ehemaliger Informant für die Bombenexplosion in Brescia 1974 verurteilt. Sie hatten den Anschlag vorbereitet und den Geheimdienst darüber auf dem Laufenden gehalten. Trotzdem war nichts passiert, um sie aufzuhalten.
Ein anderer Fall, den Ganser gerne heranzieht, betrifft die sogenannten Brabant Killer. Diese begingen zwischen 1982 und 1985 eine Serie von 16 besonders brutalen Raubüberfällen. Die Verbrecher, die bis heute nicht gefasst sind, stahlen nur geringe Mengen an Bargeld, ließen aber 28 Tote und mehr als 20 Verletzte zurück. Ihre quasi militärische Vorgangsweise gab Anlass zu Vermutungen, wonach es sich um Angehörige einer Eliteeinheit gehandelt haben könnte. Ihr Ziel sei es gewesen, die belgische Demokratie zu zerrütten und eine autoritäre Wende zu erzwingen.
Auch in diesem Fall gab es 2017 interessante Entwicklungen: Ein Mitglied der Brabant Killer soll sich vor seinem Tod dem Bruder anvertraut haben. Der Mann war Ex-Gendarm. Außerdem wurden Waffen und Munition in einem Kanal südlich von Brüssel gefunden. Der Fall wird derzeit noch untersucht – ein Beweis für eine Stay-Behind-Verbindung ist noch nicht erbracht.
Seit dem Erscheinen von „NATO’s Secret Armies“ sind viele neue Dokumente freigegeben worden – vor allem die CIA war durch den Nazi War Crimes Disclosure Act gezwungen, Material aus dem frühen Kalten Krieg offenzulegen. Auch der Bundesnachrichtendienst (BND) hat Unterlagen deklassifiziert und es gibt Fallstudien für Frankreich, Norwegen, Niederlande, Belgien und die Schweiz.
Ersichtlich ist daraus dreierlei:
(1.) Die Stay behind-Gruppen waren zahlenmäßig klein, also keine Rede von „Geheimarmeen“. Nur ein Beispiel: 1979 gab es in der BRD gerade einmal 85 hauptamtliche Mitarbeiter in der dortigen Stay Behind-Organisation.
(2.) Die jeweiligen Widerstandsnetze wurden im Rahmen der NATO nur koordiniert und unterstanden nationaler Kontrolle. Es gab keine Fernsteuerung durch die CIA oder durch die NATO.
Und (3.) stay behind war ein Mittel für den unkonventionellen Krieg gegen die Rote Armee. Was die angebliche Verwicklung in den Terrorismus angeht, so handelt es sich um eine Vermutung.
Damit zu den historischen Ursprüngen: Anhand des Fallbeispiels Österreich wird die eigentliche Funktion von Stay behind kenntlich gemacht.
Stay behind in Österreich
Ende der 1940er Jahre schien eine Invasion der Roten Armee jederzeit möglich. Hatten doch die Sowjets 1948 Berlin abgeriegelt und die Macht in Ungarn sowie der Tschechoslowakei an sich gerissen. 1950 entbrannte der Koreakrieg. Nirgendwo fühlte man diese Erschütterungen stärker als im besetzten Nachkriegsösterreich, wo die Machtblöcke unmittelbar auf einander trafen. Hier befürchtete man eine Teilung des Landes ebenso wie einen Putsch der KPÖ.
Die Alliierten rechneten sich für den Kriegsfall keine Chance aus, Westeuropa wirksam zu verteidigen. So wollte man sich zunächst zurückziehen, um dann den Gegenschlag zu starten. Bis es soweit war, sollten sich Guerilla- und Partisaneneinheiten von der Front überrollen lassen und zurückbleiben („stay behind“). Erst dann sollten sie aktiv werden. Ihr Auftrag lautete: Sabotage, Informationsbeschaffung und Durchschleusen von VIPs, abgeschossenen Piloten sowie Kriegsgefangenen.
Die CIA koordinierte den Aufbau dieser Spezial- und Guerillaeinheiten in ganz Westeuropa. In Italien trug die Struktur den Codenamen Gladio, Absalon in Dänemark, ROC in Norwegen und SDRA 8 in Belgien. In der Türkei waren die Stay-Behind-Kräfte unter dem Codenamen Counterguerilla bereits Jahre vor dem NATO-Beitritt des Landes aufgestellt worden. Selbst in den an sich neutralen Ländern Österreich, Finnland, Schweden und der Schweiz gab es solche Verbände. Im Grunde handelte es sich um eine Lehre aus dem 2. Weltkrieg: Damals hatte es lange gedauert und viele Menschenleben gekostet, um Widerstandsnetze aufzubauen. Nun sollten diese bereits vor Kriegsausbruch installiert sein.
Geheime Waffen- und Ausrüstungslager
Damit am „Tag X“ alles bereit war, wurden Erddepots mit Waffen, Sprengstoff, Funkgeräten und anderer Ausrüstung angelegt. In Österreich wurden 1996 65 dieser geheimen Lager nach entsprechender Information durch die USA lokalisiert: 33 in Oberösterreich, 27 in Salzburg und fünf in der Steiermark. Das Kriegsmaterial hätte für bis zu 1.000 Mann gereicht: Unter anderem mehrere Tonnen Sprengstoff, Landescheinwerfer, Schalldämpferpistolen und Jagdmesser – aber auch deutschsprachige Anleitungen für den Guerillakrieg. Das lässt darauf schließen, dass die Lager – zumindest auch – für österreichische Widerstandskämpfer angelegt worden waren – und zwar zwischen 1949 und 1954. Genauer ließ sich die Funktion sowie eine mögliche österreichische Beteiligung damals nicht bestimmen.

Weniger bekannt ist, dass auch die britische Besatzungsmacht solche Vorkehrungen traf – und zwar schon zu einem früheren Zeitpunkt als die USA. Vielleicht schon 1946/47 wurden in Kärnten Waffen- und Ausrüstungslager angelegt. Diese wurden später entweder von Zivilisten entdeckt oder geräumt. Es gab nur eine Ausnahme – ein 2014 durch Zufall entdecktes Versteck in Wien-Lainz am Rande des britischen Sektors.
Hinsichtlich der US-amerikanischen Vorgangsweise gab es lange Zeit kaum Quellen. 2006 erschien „My Father, the Spy“ – ein Buch des Autors John F. Richardson über seinen Vater, der Ende der 1940er Jahre CIA-Stationschef in Wien war. Darin wird auch die praktische Umsetzung des Stay behind-Programms erwähnt: Demnach rekrutierte die CIA österreichische Funker und ließ Funkgeräte an ausgewählten Punkten innerhalb der sowjetischen Zone vergraben.
Aufgrund der neuen Dokumente können wir die Vorgänge beim Namen nennen: Operation Iceberg. Ab 1948 wurden zehn Verstecke in Westösterreich, vor allem im Wienerwald, angelegt. Darin befanden sich Funkgeräte, codierte „signal plans“ und Generatoren. Aus diesen geheimen Depots sollten Stay behind-Agenten ihre Ausrüstung beziehen, um im Kriegsfall mit den Alliierten Kontakt aufzunehmen.

1953 zählten zu Operation Iceberg insgesamt sechs österreichische Funker. Von ihnen erwartete man von ihnen im Kriegsfall das Beschaffen/Durchgeben von Informationen bezüglich von Truppen- und Materialbewegungen, Maßnahmen der Besatzungsbehörden sowie Aufklärung von Bombenschäden in Wien und Wiener Neustadt.
Wehrmachtsveteranen rekrutiert
Die Agenten waren fast alle Wehrmachtsveteranen, die eine Funkausbildung hatten. Vom Alter her waren sie bunt gemischt, der älteste war 46 und der jüngste 23 Jahre alt. Einer der Funker war Tierarzt in einem Dorf südwestlich von Wien – für die CIA war das perfekt als zivile Tarnung geeignet. Ein weiterer Agent, ein damals 32jähriger Elektriker und KPÖ-Funktionär, sollte Vorhaben der Kommunisten aufklären. Ein stiller, introvertierter Typ wiederum war ein 26jähriger Medizinstudent: Streng katholische Erziehung und „bürgerliche Moral“ hatten ihn zu einem überzeugten Antikommunisten gemacht. Die übrigen drei Agenten waren ein technischer Zeichner, ein Betriebsaufseher und passenderweise ein Verkäufer von Radioapparaten.

Falls die Rote Armee tatsächlich nach Westen vorgestoßen wäre, wären diese Freiwilligen quasi die „Augen“ und „Ohren“ der Alliierten gewesen. Alleine schon dadurch, dass sie sich mit der CIA einließen, riskierten sie viel. So vermutete der US-Geheimdienst, dass den Sowjets die militärische Vergangenheit einiger ihrer Agenten bekannt war – was deren „Stay behind-Lebensdauer“ verkürzt hätte.
Codename GRCROOND
Sämtliche US-amerikanischen Stay behind-Operationen in Österreich liefen unter der Bezeichnung GRCROOND. Der Schwerpunkt lag innerhalb der westlichen Besatzungszone, im Salzburger und Tiroler Raum.
Ziel war (1.), bereits bestehende paramilitärische Kapazitäten weiter auszubauen. Damit waren in erster Linie Gewerkschafts-Einheiten gemeint, die auf Zentral- und Ost-Österreich verteilt waren. Hier kann es sich nur um den Österreichischen Wander-, Sport- und Geselligkeitsverein handeln, den Franz Olah, der damalige Vorsitzende Bau- und Holzarbeiter-Gewerkschaft, seit den frühen 1950er Jahren als paramilitärische Organisation aufbaute. Darauf komme ich noch zu sprechen.
Im Fokus befanden sich weiters (2.) „indigene“ Gruppen, in abgelegenen, schwer zugänglichen Landstrichen sowie (3.) Einzelpersonen, die über das gesamte Bundesgebiet verstreut waren. Diese sollten im Kriegsfalle so schnell als möglich all jene rekrutieren, die ihnen für eine Verwendung tauglich erschienen. Anschließend würde es darum gehen, Luftnachschub oder abgesetzte Special Forces-Soldaten in Empfang zu nehmen. (4.) ging es darum, eine Flucht- und Evakuierungsroute von Ost- nach Westösterreich anzulegen, deren Zubringer bis an die ungarische bzw. tschechische Grenze reichen sollten.
Aus einer Auflistung von 1957 geht hervor, wie viele geheime Waffen- und Ausrüstungslager bis dahin angelegt worden waren: 12 (1951), 14 (1952), 3 (1953) und 35 (1954). Die Depots wurden teils im alpinen Gelände – am Hochschwab, im Sengsengebirge, am Pötschen- und Phyrnpass – angelegt und darüber hinaus unter anderem in der Nähe von Lambach, Ried im Innkreis, am Traun- und Attersee, Bad Hofgastein sowie südlich von Steyr. Das Stay behind-Programm blieb auch nach Unterzeichnung des Staatsvertrags aktiv: 1955 wurden insgesamt 12 Sabotage- und 10 „air-reception“-Lager angelegt. Die Ausrüstung in letzteren Depots diente dazu, Landeplätze für Luftnachschub zu markieren.

Ein Status-Report von Ende 1958 listet insgesamt 18 verschiedene Agenten auf. Der jüngste war 30, der älteste 59 Jahre alt. Es handelt sich um eine bunt gemischte Truppe: Zwei Ski-Lehrer, ein Arzt, ein Automobilhändler, ein Assistent eines Rechtsprofessors, ein Englisch-Lehrer, ein Chauffeur, ein Handelsreisender, ein Verkäufer, ein Elektriker, ein Handelschul-Lehrer, ein Lagerverwalter, zwei Beamte, ein Vorarbeiter sowie drei lokale ÖVP-Politiker. Vor allem letztere waren für die CIA interessant: Einer war Gemeindesekretär, Vorsitzender des örtlichen Veteranenverbands und Versicherungsvertreter. Im Falle einer kommunistischen Machtübernahme würde man ihn als „Volksfeind“ politisch entmachten und verhaften, erwartete die CIA.
Nicht alle der Agenten waren bei der Sache oder physisch fit: Der 34jährige Englischlehrer zeigte überhaupt wenig Interesse am Spionage-Training. Neben finanziellen Aspekten bestand seine Motivation vor allem darin, gegen den Kommunismus zu arbeiten und „kulturellen Kontakt“ zu native speakern zu pflegen.

Ausbildungskurse durch US-Militär
Für ausgewählte Teilnehmer gab es ab 1962 einen einwöchigen Überlebenstrainingskurs – inklusive Waffen- und Sprengausbildung, Funken, Orientierung und Empfangnehmen von Luft-Nachschub. Gastgeber und Veranstalter waren Experten in Sachen Guerillakriegsführung – die 10th Special Forces Group, die im bayrischen Bad Tölz stationiert war.
Beispielsweise musste der Agent mit dem Codenamen GRIMPASTE im Mai 1962 im Rahmen des Lehrgangs einen Hasen töten und zubereiten. Eigentlich war dasselbe Schicksal für ein Huhn angedacht gewesen. Aber dieses sprang noch rechtzeitig aus der Box und nahm Reißaus. Ein Sergeant nahm mit der Axt in der Hand die Verfolgung auf, hatte aber das Nachsehen. „The chicken won“, heißt es im Originaldokument.
In den frühen 1960er Jahren wurden infolge der sich ändernden Situation in Österreich die Leitlinien von GRCROOND geändert: Schwerbewaffnete Gruppen waren nicht länger notwendig, weil man mit nicht mehr mit einem kommunistischen Putsch rechnete. Die vorhandenen Aktivposten sollten jedoch weitergeführt werden, weil „sowjetische Aggression“ immer noch möglich schien. Allerdings wollte man die Verantwortung für Sabotagemaßnahmen im Kriegsfall zunehmend an österreichische Kräfte abtreten.

Die GRDAGGER-Organisation
Damit war in erster Linie Olahs Truppe gemeint. Aus den neuen Dokumenten geht hervor, dass die CIA diese als „GRDAGGER-Organisation“ führte und für Guerilla-und Sabotageakivitäten im Hochschwab sowie im Greinerwald nutzbar machen wollte. Zuversichtlich stimmte die CIA, dass Olahs Verband über gute Beziehungen zu Regierungskreisen verfügte und antikommunistisch orientiert war. Der gewerkschaftliche Hintergrund stellte eine gute Tarnung für die geheimen Aktivitäten dar. Über Olah (GRDAGGER 1) hieß es, er habe ein starkes Interesse daran, sich als Widerstandsführer zu profilieren, sollte es zum Krieg kommen.

Ende 1955 bestand das Stammpersonal der „GRDAGGER-Organisation“ aus 20 Personen, von der sich die CIA gute Chancen ausrechnete, einen effektiven „Kern“ für eine österreichische Guerilla zu bilden:
„Wir schätzen, dass die GRDAGGER-Organisation innerhalb von sechs Monaten nachdem der Krieg ausgebrochen ist auf 250 Mann angewachsen sein wird. GRDAGGER besteht aus Angehörigen einer SPÖ-nahen Gewerkschaft mit 40.000 Mitgliedern, von denen viele als potentielle Rekruten für Widerstandsgruppen im Kriegsfall angesehen werden können.“
Bedauerlicherweise existieren dazu in österreichischen Archiven keine vergleichbaren Unterlagen: Olah hatte seine Spuren penibel verwischt. Schon in den 1960er Jahre wurden alle Akten zu seinem sogenannten „Sonderprojekt“ vernichtet. Der ehemals mächtige Olah hatte sich selbst ins Aus manövriert – unter anderem wegen eigenmächtiger Verwendung von Gewerkschaftsgeldern musste er 1964 als Innenminister zurücktreten und wurde fünf Jahre später zu einer Haftstrafe verurteilt. Ob und wenn ja in welcher Form die österreichische Beteiligung an Stay behind weiterging, darüber gibt es bislang keine Erkenntnisse. Es ist jedoch unwahrscheinlich.
Rolle von Ex-Nazis
Nicht übersehen werden sollte die Rolle von teils schwer belasteten Ex-Nazis beim Aufbau der Geheimstrukturen: Einer der bekanntesten Fälle ist Wilhelm Höttl, zuletzt SS-Obersturmbannführer und 1938-1945 Referent im Ausland-Sicherheitsdienst. Schon 1948/49 installierte Höttl im Auftrag des US-Militärgeheimdienstes CIC gemeinsam mit den Waffen SS-Veteranen Erich Kernmayer und Karl Kowarik zwei Agenten-Netzwerke. Es wurde auch eine Gruppe von ungarischen Exilanten rund um eine Hütte des Alpenvereins bei Grünau im Partisanenkampf trainiert. Binnen eines Jahres war alles vorbei: Zu viele der von Höttl gelieferten Informationen waren schlicht unrichtig oder einfach aus der Zeitung abgeschrieben gewesen. Trotzdem ließen sich die Amerikaner von Höttl später noch Funker für das Stay behind-Programm vermitteln.
In den NATO-Ländern blieben die Widerstandsnetze bis 1990/91 aktiv. Die sowjetische Invasion, auf die man sich so intensiv vorbereitet hatte, war nie erfolgt. Mit Sicherheit war das für alle Beteiligten das Beste – so hatte etwa beispielsweise die Funkaufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit viele der westdeutschen „Stay Behind“-Agenten längst im Visier, wodurch sie im Kriegsfall rasch „ausgeschaltet“ worden wären.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Bild von Stay behind viel komplexer und vielschichtiger ist, als die plakative Darstellung in „NATO’s Secret armies“. Zweifellos gibt es Hinweise auf Verbindungen zwischen Rechtsextremisten und staatlichen Kräften. Aber diese Fälle sollten im jeweiligen nationalen Kontext betrachtet werden und nicht selektiv dazu genutzt werden, die quasi fixe Annahme einer transatlantischen Verschwörung zu untermauern. Wie das Beispiel Österreich insbesondere zeigt, war Stay behind in erster Linie ein Mittel für den unkonventionellen Krieg gegen die Rote Armee. Und es ist davon auszugehen, dass Stay behind angesichts der geopolitischen Spannungen gerade im osteuropäischen Raum vor einem Comeback steht.
Mehr lesen:
Das Geheimnis des Mühlbachbergs, in: Datum, Nr, 8/2016:
https://thomasriegler.files.wordpress.com/2016/08/datum_riegler.pdf
Strukturen für den geheimen Krieg:
https://thomasriegler.files.wordpress.com/2016/08/strukturen_fur_den_geheimen_krieg_die_ci.pdf
Ein Waffenlager im Schrebergarten:
http://oesterreichterrorismus.blogspot.co.at/2016/02/ein-waffenlager-im-schrebergarten-das.html
Gladio – myth and reality: The origins and function of stay behind in the case of post-war Austria, in: Adrian Hänni, Thomas Riegler, Przemyslaw Gasztold (eds.), Terrorism in the Cold War, Vol. 2, State Support in the West, Middle East and Latin America, London 2020, 15-41,