„Notwendiges Übel“: Wie ist es um Zusammenarbeit unter Spionen wirklich bestellt?

In den letzten Wochen war viel die Rede davon, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) aufgrund der aktuellen Ermittlungen gegen einige Spitzenbeamte vom Informationsfluss seitens von „befreundeten Diensten“ abgeschnitten sei. Aber was ist unter dieser nebulösen  Kooperation zwischen Geheim- und Nachrichtendiensten überhaupt zu verstehen? Hierzu gibt es – verständlicherweise – wenig gesichertes Wissen. Aber einiges liegt auf der Hand: Ja, es gibt diesen Austausch untereinander und soll schon viele Leben gerettet haben. Andererseits wird die Thematik oft ins Karikaturhafte überzeichnet. Zeit, der Sache auf den Grund zu gehen.

Kooperation zwischen Geheim- und Nachrichtendiensten dürfte mehr Ausnahme als Regel sein. Und wenn, dann wird sie als notwendiges Übel angesehen. Oder wie es die Ex-Agentin Valerie Palme auf den Punkt gebracht hat:

„In the CIA people view liaison relationships as a pain in the ass, but necessary.”

Dafür gibt es mehrere Gründe. Zunächst einmal begegnet man sich in der „Community“ der Dienste nicht auf Augenhöhe. Es gibt einige wenige dominante Akteure, die dieses inhärente Machtgefälle zu ihrem Vorteil nutzen. So ist es etwa öffentlich belegt, dass der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) von seinen US-amerikanischen Counterparts nicht ganz ernst genommen wird. Erstens handelt es sich beim BND um eine Gründung durch die Central Intelligence Agency (CIA) in der frühen Nachkriegszeit (Organisation Gehlen). Andererseits hängt dem BND die Unterwanderung durch Doppelagenten während des Kalten Krieges nach. Spätestens seitdem der Leiter der Spionageabwehr, Heinz Felfe, 1961 als Ostspion entlarvt wurde, galt der BND als unsicherer Kantonist bei den angloamerikanischen Counterparts. An dieser Einstellung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht so viel geändert.

Es gibt keine „befreundeten Dienste“

Als ultimative Demütigung erlebte der BND 2014, dass ausgerechnet die CIA ihn ausspioniert hatte. Seit 2008 hatte der in der BND-Abteilung „Einsatzgebiete Auslandsbeziehungen“ tätige Doppelagent Markus R. unter dem Decknamen „Uwe“ für 95.000 Euro mehr als 200 Dokumente an die CIA weitergegeben – im Rahmen von Treffen in der Salzburger Innenstadt bzw. einem dortigen Hotel. Der Führungsoffizier „Craig“ hatte pikanterweise von der CIA-Station Wien aus operiert. Enttarnt wurde Markus R. erst, als er versuchte, mit dem SWR, dem russischen Auslandsnachrichtendienst, ins Geschäft zu kommen. Diese Kontroverse unterstreicht, dass es so etwas wie „befreundete Dienste“ ohnedies nicht gibt und nie gegeben hat. „Spionage unter Freunden“ fand seit jeher statt und wird weiter betrieben werden.

Rein interessengeleitet ist auch das Zusammenspiel innerhalb der angloamerikanische Achse – eine fast symbolhafte Geheimdienstkooperation, die im Rahmen von 1946 abgeschlossenen Verträgen festgelegt ist. Die „Five Eyes“ – USA, Großbritannien, Kanada, Neuseeland, Australien – betreiben seit Jahrzehnten das Programm Echelon zur Überwachung des über Kommunikationssatelliten geleiteten Telefon- und Datenverkehrs (Überbezeichnung Signal Intelligence, SIGINT). Es gibt aber kein Pooling von Information. Und mitunter sollen die Beziehungen so angespannt gewesen sein, dass einzelnen Mitgliedern der Rauswurf drohte.

Auch hier herrscht viel historisch gewachsene Aversion. Denn während die am Reißbrett entstandenen US-Dienste im frühen Kalten Krieg mit viel Input seitens der britischen Kollegen aufgebaut worden waren, kehrte sich das Verhältnis rasch um. Zahlreiche Skandale rund um KGB-Maulwürfe erschütterten den MI6 in den 1960er Jahren. Männer wie Kim Philby hatten schon längst den Verdacht von FBI-Chef J. Edgar Hoover erregt, als die Kollegen vom MI6 noch glaubten, niemand aus ihrem exklusiven Club könne zum Verräter werden.

Die transatlantische Achse mag alles andere als eine „Liebeshochzeit“ sein, aber dafür profitiert man voneinander: Die National Security Agency (NSA) hat gemeinsam mit dem britischen Government Communications Headquarters (GCHQ) eine großangelegte Überwachung von unterseeischen Internetglasfaserkabeln vorgenommen. In 22 Lauschposten verteilt auf ganz Großbritannien soll man eng zusammenarbeiten. So verfügt die NSA etwa in Edzell (Schottland) über eine Einrichtung, wovon aus Ziele in Frankreich ausspioniert worden sein sollen. Am bekanntesten ist die Basis Menwith Hill in Nordengland, die größte Übersee-Station der NSA. Im Gegenzug erhält GCHQ Zugang zu neuen Technologien der US-amerikanischen Seite.

Im Rahmen der erst kürzlich bekannt gewordenden SIGNIT SeniorsAllianz arbeitet die NSA darüber hinaus seit Anfang der 1980er Jahre mit europäischen Ländern, darunter Deutschland, Dänemark, Frankreich, die Niederlande, Spanien und Schweden, zusammen. Eine ähnliche Abmachung existiert mit Frankreich, Indien, Südkorea, Singapur und Thailand im Rahmen von SIGNIT Seniors Pacific.

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Abhörstation Menwith Hill, Nord-England (Quelle: Wikimedia Commons/Matt Crypto)

Wie diese Beispiele belegen, ist also von einer einheitlichen westlichen Geheim- und Nachrichtendienst-„Community“ gar keine Rede. Wenn hier mühsam Arbeitsebenen gefunden werden, dann beruht dies Miteinander „zu allererst auf Misstrauen“. So hat es ein pensionierter BND-Mann 2016 ausgedrückt. Denn eines ist klar: Quasi von Natur aus teilen Dienste ihr Wissen äußerst ungern. Ein Informationsvorsprung hinsichtlich der Vorhaben von Gegnern genauso wie von „Verbündeten“ bedeutet Macht. Dafür wurden die Dienste eingerichtet – als Werkzeuge der jeweiligen nationalen Exekutive, der sie alleine verpflichtet sind. Genauso gehen die jeweiligen staatlichen Interessen im westlichen Lager oft scharf auseinander. Das schafft Barrieren, die kaum zu überwinden sind.

Berner Club und Counter Terrorist Group

Aber weil es ganz ohne Austausch untereinander auch nicht geht, haben sich neben bilateralen Kontakten über die Jahrzehnte einige informelle Gremien entwickelt, die diese Funktion erfüllen. In erster Linie zu nennen, ist hier der mysteriöse Berner Club. Dieser existiert seit 1969. Zu den Gründungsmitgliedern zählen neben der Schweiz: Belgien, BRD, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Italien, Luxemburg, Niederlande. Die Leiter der jeweiligen Nachrichtendienste treffen sich zweimal jährlich. Vorgenommen werden eine Lageeinschätzung und die Festlegung der Prioritäten für die operationelle Arbeit. Seit 1971 waren auch die USA und Israel eingebunden. Bis Ende der 1970er Jahre wurden sechs weitere Länder – darunter Österreich – an das chiffrierte Telex-System des Berner Club angeschlossen. Unter dem Decknamen „Kilowatt“ diente es dazu, Informationen auszutauschen – und zwar war vor allem in Sachen Terrorismus und Spionage.

Das Magazin profil wusste 1994 zu berichten, dass das Wiener Innenministerium über dieses Telexsystem weltweit vernetzt war:

„Wenn die CIA ruft, müssen Österreichs Staatspolizisten tunlichst innerhalb von drei Tagen antworten Ein Datenaustausch, der durch das seit einem Jahr bestehende Sicherheitspolizeigesetz, in dem die Befugnisse der Polizei rechtlich geregelt sind, rechtlich gedeckt ist“.

Die Schweizer Historikerin Aviva Guttmann erhielt kürzlich exklusiven Zugang zu Schweizer Unterlagen zum Berner Club und zwar zu den Anfängen seiner Tätigkeit in den frühen 1970er Jahren. Guttmann streicht vor allem die Kooperation mit dem besonders aktiven Partner Israel heraus: Die auf strikte Geheimhaltung ausgerichtete Kooperation habe den westlichen Demokratien die Möglichkeit gegeben, in Sachen Terrrorismusbekämpfung eng mit Israel zu kooperieren – ohne nach außen hin die Beziehungen zu den arabischen Staaten oder zur Sowjetunion aufs Spiel zu setzen, die die Gegenseite unterstützten.

Dafür profitierte man von den umfangreichen Erkenntnissen der israelischen Seite über palästinensische Terrorgruppen, etwa in Form von regelmäßigen Lageberichten. Mit Erfolg – es wurden immer wieder Anschläge verhindert. Das bedeutet aber nicht, dass das alles unproblematisch wäre: Der Berner Club agiert bis heute in einem Graubereich, ohne jede Form von Aufsicht.

Nach den Anschlägen von 9/11 legte man sich eine eigene Counter Terrorist Group (CTG) zu, die speziell den islamistischen Terrorismus im Fokus hat. Auch das BVT ist im Rahmen dieser Kooperationsplattform eingebunden – ebenso wie alle alle Dienste in der Europäischen Union (EU) sowie von Norwegen und der Schweiz (insgesamt 30 Behörden). Die CTG hat eine Datenbank zu „Gefährdern“ und jihadistischen „Auslandskämpfern“ eingerichtet, die in einem Zentrum an unbekannter Adresse in Den Haag durch den niederländischen Allgemeinen Nachrichten- und Sicherheitsdienst (AIVD) geführt wird. Ein interaktives Echtzeit-Informationssystem ermöglicht die Kommunikation unter allen Beteiligten. Es gilt die „Third-Party-Rule“. Das heißt, dass die Weitergabe von Informationen untersagt, die ein Geheim- oder Nachrichtendienst von einem Partner erhält. Insofern besteht Erklärungsbedarf seitens des BVT, ob und gegebenfalls welche Daten ausländischer Dienste im Rahmen der Hausdurchsuchung am 28. Februar 2018 von der Staatsanwaltschaft sichergestellt wurden.

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Den Haag mit seinen vielen Vertretungen war schon immer ein Spionage-Hotspot (Quelle: Wikimedia Commons/Fred van Assendelft)

Seit 2016 exisiert zudem die Paris-Gruppe (oder G15), zu deren Mitgliedern auch Österreich zählt. Es soll sich um einen Verbund von Geheim- und Nachrichtendienstkoordinatoren aus 15 europäischen Ländern handeln.

Heute vergessen: Der Wiener Club

Schwer vorstellbar, aber Österreich war noch Ende der 1970er Jahre ein Vorreiter in Sachen nachrichtendienstlicher Zusammenarbeit. Man hatte dafür den mittlerweile völlig in Vergessenheit geratenen Wiener Club ins Leben gerufen. Am 10. April 1978 hatte Innenminister Erwin Lanc seine Amtskollegen der Schweiz (Hans Hürlimann), der BRD (Werner Maihofer) und Italiens (Francesco Cossiga) in Bern zu Beratungen getroffen. Es wurde beschlossen, in nicht festgelegten Abständen die Gespräche weiterzuführen und im Übrigen in Sachen Terrorbekämpfung eng in Kontakt zu bleiben. Das lief über die Vertreter der jeweiligen Geheim- und Nachrichtendienste.

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Auf Schloss Laudon fand 1978 ein wichtiges Treffen des Wiener Club statt (Quelle: Wikimedia Commons/Haeferl)

Im Fokus hatte der Wiener Club den damals grassierenden Linksterrorismus. Aber Österreich hatte ein Ass im Ärmel, das es zu einem geschätzten Kooperationspartner machte, wie Lanc dem Verfasser gegenüber erklärt hat:

„Wir hatten einen Informations-Vorsprung gegenüber den Anderen durch die Beziehung zur Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). Ebenso durch unsere guten Kontakte zu Ägypten – vor allem zum damaligen Vize von Anwar Sadat, Hosni Mubarak, der gleichzeitig auch Chef des Geheimdiensts war. Diese Connections hatten die anderen nicht – aber sie hatten Informationen über Auslandsaktivitäten in Lagern für Terroristen in Libanon, Syrien und Libyen.“

Der geheime Kanal zur PLO war besonders ergiebig. Der Sondergesante Jassir Arafats, Issam Sartawi, traf sich persönlich mit Lanc oder informierte gleich den Chef der Kriminalpolizei am Flughafen Wien-Schwechat, wenn es verdächtige Reisebewegungen gab. Das mag mit ein Grund für die Ermordung von Sartawi durch die mit der PLO verfeindete Abu-Nidal-Organisation im Jahr 1983 gewesen sein.

Der Wiener Club blieb noch eine Zeit lang bestehen. 1989 traf sich die Runde im Wiener Austria Center. Es gab neue Weichenstellungen, über den Terrorismusbezug hinaus. Laut Innenminister Franz Löschnak galt es „pragmatische Maßnahmen“ gegen eine zu erwartende „Völkerwanderung“ im Zuge des Umbruchs in Osteuropa zu ergreifen. Der Wiener Club sei übereingekommen, das „Schlepperunwesen“ effektiver zu bekämpfen. Infolge wurden auch konkrete Projekte zur Bekämpfung des Drogenhandels auf der „Balkan-Route“ erarbeitet. Im Zuge der EU-Integration Österreichs verlor der Zusammenschluss aber rasch an Bedeutung. Heute scheinen laut offizieller Auskunft des BVT zum Wiener Club „keine Informationen“ mehr auf.

Auf europäischer Ebene: EU INTCEN

Auf EU-Ebene wurde zuletzt 2012 ein „Fusionszentrum“ für nachrichtendienstliche Information beim Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) eingerichtet. Dieses EU Intelligence Analysis Centre (EU INTCEN) betreibt aber keine klassische Spionage, sondern wertet offene Quellen aus. Dazu kommen Analysen des EU-Militärstabs, der die Auslandseinsätze der EU leitet sowie die Erkenntnisse des europäischen Satellitenzentrums in der Nähe von Madrid (SATCEN), das Bilder bei kommerziellen Anbietern einkauft. EU INTCEN soll mehr als 100 Mitarbeiter haben und steht unter der Führung des ehemaligen BND-Agenten Gerd Conrads.

Weitergehende Bestrebungen, einen richtigen EU-Nachrichtendienst auf die Beine zu stellen oder den Informationsaustausch zwischen den Diensten zu formalisieren, diese Agenda verfolgt Gilles de Kerchove, der Anti-Terrorkoordinator der EU. Es gibt auch Fortschritte in diese Richtung. Mehr und mehr speisen die Dienste Daten in das Schengen-Informationssystem ein – freilich immer noch strikt nach eigenem Gutdünken. Vor allem spezifische und sensible Informationen etwa zu jihadistischen „Auslandskämpfern“ werden aber zurückgehalten bzw. man bleibt lieber in den informellen Gremien Berner Club/CTG unter sich.

Für die Geheim- und Nachrichtendienste ist Kerchove mittlerweile so etwas wie ein „rotes Tuch“. So führte er die jüngsten Anschläge in Europa darauf zurück, dass die Dienste immer noch zu wenig und nicht rechtzeitig genug zusammenarbeiten. Die Gegenseite sieht das anders: Man will eigene Informanten schützen und nicht ein kapitales Stück an Souveränität an Brüssel abgeben. Abgesehen davon gibt es potentielle rechtliche Barrieren gegen ein solches Agieren. Und schließlich teilt man Wissen nur dann, wenn man dafür eine entsprechende Gegenleistung bekommt. Daran dürfte sich auch in absehbarer Zeit nichts ändern.

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