Spionieren in Zeiten des Coronavirus

Pandemien stellen für jeden Staat eine eminente Bedrohung dar. Von daher widmen wohl alle Geheim- und Nachrichtendienste möglichen Anzeichen besondere Aufmerksamkeit. Die USA hat dafür sogar einen eigenen Nachrichtendienst für medizinische und Gesundheitsinformationen, das National Center for Medical Intelligence (NCMI), das dem Militärgeheimdienst Defense Intelligence Agency untersteht.

Mehrfach war bereits zu lesen, dass vor allem die US-Geheimdienste das Coronavirus schon frühn auf dem Radar hatten. Man beobachtete angeblich sogar Bewegungsmuster von wichtigen chinesischen Entscheidungsträgern – um daraus Schlüsse zu ziehen, wie ernst die Lage tatsächlich sei. Die Warnleuchten sollen rot geblinkt, aber es wurde auf politischer Ebene nicht entsprechend gehandelt. Und dass obwohl es in der Vergangenheit vielerorts immer wieder Planspiele gab, wie verheerend sich eine Pandemie auswirken würde.

Jedenfalls ist das Missverhältnis zwischen dem Vorwissen und der späten Reaktion in den USA, aber auch in anderen westlichen Ländern im Nachhinein nur schwer verständlich.

Es zeigt sich ein grundsätzliches Dilemma nachrichtendienstlicher Arbeit: Erreichen Informationen und Lageeinschätzungen die Spitze der Pyramide? Und wenn ja, werden die Warnungen und Handlungsempfehlungen dort rechtzeitig ernstgenommen? Oftmals ist es nämlich nicht so.

Hinzu kommt: COVID19 ist ein neuartiges Virus. Es gab es viel zu wenig gesichertes Wissen und die chinesische Informationspolitik diente vor allem der Vertuschung. Wie konkret kann man da in seinen Einschätzungen sein?

Nachteilig dürfte sich das tiefe Misstrauen zwischen US-Präsident Donald Trump und dem US-Geheimdienstapparat ausgewirkt haben. Der Präsident betrachtet die Dienste als „tiefen Staat“, der ihm schaden will. In der CIA wiederum wird Trump teils als Sicherheitsrisiko wahrgenommen. Derzeit führt der neu eingesetzte Koordinator Richard Grenell eine Vendetta gegen politisch unliebsame Entscheidungsträger. Zuletzt hat sich der Leiter des National Counterterrorism Center verabschiedet.

Das alles hat die Performance der Geheimdienst-Community und insbesondere den Draht ins Weißen Haus lange vor der Pandemie schwer beeinträchtigt.

Für die tagtägliche Arbeit mit menschlichen Quellen bedeutet die aktuelle Situation eine massive Einschränkung. Wie soll man beispielsweise einen Informanten, der plötzlich um Hilfe bittet, während eines Lockdowns herausholen (exfiltrieren)? Auch Homeoffice – ohne sichere Leitungen und Zugang zu speziell abgesicherte Räume in Botschaften – bedeutet ein beträchtliches Risiko für die Informationssicherheit. Man kann auch leichter Ziel von Hackern werden. Und insgesamt schwächt die aktuelle Situation die Arbeit der Dienste insgesamt: Beträchtliche Ressourcen müssen kurzfristig umgeschichtet werden, bisherige Prioritäten treten in den Hintergrund, was auch ein Sicherheitsrisiko darstellt.

Zusätzlicher Druck entsteht durch Desinformation, deren Verbreitung in Krisenzeiten generell zunimmt – weil das Säen von Chaos und Unsicherheit auf noch fruchtbareren Boden fällt. Außerdem geht es um den Sieg im Propagandakrieg, also welches System sich in Sachen Krisenbewältigung bewährt (Demokratie oder Autoritarismus) und wer an der Verbreitung des Virus schuld ist.

Zugenommen haben auch oftmals kriminell motivierte Cyberangriffe gegen Spitäler und medizinische Zentren. So wie es in Tschechien bereits passiert ist. Gleichzeitig wird von staatlicher Seite massiv versucht, an Intelligence in Sachen Impfstoffe, aber auch an Masken und andere medizinische Ausrüstung sowie Tests heranzukommen – so gab es Anfang des Monats einen Cyberangriff gegen die World Health Organization (WHO), der gescheitert sein soll. Der Mossad war im realen Leben erfolgreicher: 100.000 Test-Kits wurden im Ausland „beschafft“, aber diese sollen unvollständig gewesen sein.

Solche Aktivitäten werden noch weiter zunehmen und haben das Potential zwischenstaatliche Spannungen zu verschärfen. Das Coronavirus gefährdet also nicht nur die Gesundheit und die Wirtschaft, sondern stellt nicht zuletzt eine sicherheitspolitische Herausforderung dar.

Hinweis – siehe dazu auch: Fabian Schmid, Masken besorgen, tarnen im Shutdown: Geheimdienste und die Corona-Krise, in: Der Standard, 26.3.2020, https://www.derstandard.at/story/2000116155415/masken-besorgen-tarnen-im-shutdown-geheimdienste-und-die-corona-krise

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