Vor 35 Jahren erlitt Botschafter Herbert Amry einen Herzinfarkt. Kurz zuvor hatte er jenen krummen Deal recherchiert, an dem sich später der „Noricum-Skandal“ entzündete.
Tropisch-schwül ist es in Athen an diesem Donnerstagabend, 11. Juli 1985. Der österreichische Botschafter Herbert Amry hat zum Abschiedsempfang geladen. Der 46jährige ist zu einem Karrieresprung nach Wiener Außenamt rückberufen worden. Rund 150 Gäste kommen in die Residenz – griechische Regierungsmitglieder, Diplomaten anderer Länder und Auslandsösterreicher.
Es wird 23 Uhr bis alle gegangen sind. Dann setzt sich Amry noch mit einem Mitarbeiter zusammen. Man trinkt zwei Flaschen kaltes Bier. Anschließend legt sich Amry mit seiner Gattin hin. Im Bett liest er noch etwas, als er plötzlich an der linken Schulter Schmerzen verspürt. Eine starke Übelkeit kommt hinzu. Bald kann Amry nur mehr stoßweise atmen. Seine Gattin leistet erste Hilfe und verständigt den Vertrauensarzt der Botschaft, der die Einlieferung ins Krankenhaus veranlasst.
Diese verläuft nicht pannenfrei. Die Staatspolizei berichtet später, dass die Rettung „sehr spät“ gekommen sei. Und nicht nur dass, der Krankentransport mit einem alten und offenen Auto durchgeführt, „so dass man die Beine ‚herausbaumeln‘ sah.“ Im Spital wird der Patient an die Herz-Lungenmaschine angeschlossen, „jedoch diese startete erst beim dritten Versuch.“ Tatsächlich sei Amry „bereits klinisch tot“ gewesen, als ihn der Arzt erstuntersuchte: „Er habe dies aber nicht der Gattin gesagt.“
Der plötzliche Tod des Botschafters war hochbrisant: Amry war enger Mitarbeiter von Bruno Kreisky, Leiter der Dienstrechtsabteilung des Außenministeriums, Generalkonsul in Istanbul und Botschafter in Beirut (1978–1981) und danach in Athen. Immer wieder hatte er besonders heikle Missionen übernommen. So hatte Amry zwischen 1983 und 1985 in langwierigen, aufreibenden Verhandlungen einen arabisch-israelischen Gefangenenaustausch in die Wege geleitet.
In Beirut arbeitete Amry mit dem Geheimdienst der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) zusammen, um Anschläge in Österreich zu verhindern. Das war natürlich keine Einbahnstraße. Wie aus einem Dokument in der Stasi-Unterlagenbehörde hervorgeht, dürfte Amry seinem Kontaktmann Abu Iyad „im Auftrag von Bundeskanzler Kreisky“ angeboten haben, „im Falle einer persönlichen Notlage österreichische Pässe zur Verfügung zu stellen“.
Nur knapp eine Woche vor seinem Tod wurde Amry erneut in eine „große“ Sache verwickelt: Am 4. Juli 1985 kam der österreichische Handelsgesandte in Amrys Büro und berichtete über die Intervention eines iranischen Waffenhändlers. Dieser Hadji Dai hatte sich wegen ausgebliebener Provisionen in der Höhe von 68 Millionen Schilling beschwert. Diese stünden ihm für die Lieferung österreichischer Kanonen und Munition in den Iran zu. Amry wurde hellhörig. Er hegte schon seit 1984 den Verdacht, dass die verstaatlichte VOEST Waffen gesetzeswidrig in den Nahen Osten verkaufte.
Amry forschte nach und empfing sowohl den VOEST-Vertreter in Athen als auch Dai. Immer mehr gelangte der Botschafter zur Ansicht, dass der Iran wirklich Bestimmungsland des Kriegsmaterials war – und zwar über den Scheinadressaten Libyen. Amry schlug Alarm und schickte zwischen 5. und 11. Juli 1985 insgesamt vier Fernschreiben an das Wiener Außenministerium. Bereits im ersten Telex meinte er kryptisch: „Ein zweiter Schiffsuntergang a la Lucona wäre sicherlich unerfreulich“. Damit spielte Amry auf den Versicherungsbetrug durch Udo Proksch an, dessen volle Dimension erst Ende der 1980er Jahre offenbar wurde.
Das letzte Telex sandte Amry acht Stunden vor seinem Tod ab. Es war schon erstaunlich präzise: „Was das Geschäft selbst anlange, sei dieses ein solches mit dem Iran, […]. Libyen scheine weder als Zahler auf noch bekomme es die Ware. Iran sei Vertragspartner, daher Zahler und Empfänger.“ Noch zwei Jahre bevor der sogenannte „Noricum-Skandal“ voll entbrannte, hatte Amry einige der wichtigsten Fragen geklärt.

Begonnen hatte alles sechs Jahre zuvor: Jordanien hatte 1981 bei der VOEST-Tochter „Noricum“ 200 GHN-45-Haubitzen und 700.000 Granaten geordert. Doch die Waffen kamen dort nie an, sondern gelangten in den Irak, der im Jahr zuvor den Iran überfallen hatte. Nach entsprechenden Drohungen erwirkten iranische Unterhändler 1983, dass auch ihre Seite beliefert wurde. Das verstieß gegen das Kriegsmaterialexportgesetz, sicherte aber Arbeitsplätze in der krisengebeutelten verstaatlichen Industrie.
Diese war 1979 mit großen Hoffnungen in die „Wehrtechnik“ eingestiegen, musste bald feststellen, dass allenfalls Staaten Interesse hatten, „die das Zeug auch wirklich verwenden“, wie Außenminister Leopold Gratz anmerkte. Der Dauerkonflikt zwischen Rechtlage und wirtschaftlichen Notwendigkeiten ließ sich nicht auflösen und mündete direkt in den „Noricum-Skandal“.
Dass Amry diesen Machenschaften auf die Schliche kam und just in diesem Moment verstarb, erschien im Nachinein verdächtig. Hatte man den Botschafter gar vergiftet, weil er „dem größten illegalen Waffengeschäft seit 1945 auf der Spur“ war, wie seine Tochter vermutete? Erst nachdem in „Journalistenkreisen“ Gerüchte kursierten, gab Staatspolizeichef Anton Schulz am 9. August 1985 Ermittlungen in Auftrag.
Es wurde ihm dann berichtet, dass der Arzt „eindeutig Tod durch Herzversagen infolge eines Herzinfarktes“ festgestellt hatte: „Keinesfalls konnten irgendwelche Symptome einer Vergiftung oder sonstigen Einwirkung, die auf einen gewaltsamen Tod schließen lassen würden, vorgefunden werden. Von einer Obduktion wurde nach Rücksprache mit Frau Amry Abstand genommen.“
Der Vertrauensarzt, der Amry zuletzt behandelt hatte, schloss, dass er einen „plötzlichen Herztod“ erlitten hatte. Dazu passte, dass sich Amry erst im Mai 1985 wegen „häufiger Herzbeschwerden“ Untersuchungen unterzogen hatte: „Der Arzt erstellte ein EKG und veranlasste auch ein Herzröntgen, deren Ergebnisse ihn veranlassten, Dr. Amry dringend eine Bypass-Operation zu empfehlen.“ Amry hatte zuletzt unter Stress gelitten: Im Vorfeld des bereits erwähnten Gefangenenaustauschs war er 1984/85 monatelang damit beschäftigt gewesen, Inhaftierte zu identifizieren und Listen zu erstellen. Als alles unter Dach und Fach schien hatte er einen lange verschobenen Urlaub auf einer griechischen Insel angetreten – nur um unter größten Schwierigkeiten von dort rückbeordert zu werden, als der Deal kurzfristig nochmals auf der Kippe stand.
Die letzten Tage vor seinem Tod war Amry hochnervös. Daran erinnert sich der Zeitzeuge Ferdinand Hennerbichler, der zwischen 1983 und 1985 Presseattaché in der Athener Botschaft war. Amry habe ihn angerufen und gesagt: „Pass’ bitte auf, wenn Du ins Auto einsteigst. Schau nach, bevor Du den Motor startest.“ Diese Warnung habe ihm zu denken gegeben, so Hennerbichler. Er habe Amry verklausuliert gefragt, ob es in Sachen Waffengeschäfte etwas Neues gebe. Amry habe nur gemeint: „Ich bin sehr unter Druck. Wir sehen uns in ein paar Tagen. Dann besprechen wir alles Nötige.“ Dazu kam es nicht mehr. Aber dafür, dass Amry ermordet wurde, gibt es letztlich keinen Beweis.
Seine emsigen Bemühungen hatten das Waffengeschäft nicht unterbinden können. Aber Amry hatte die Saat des Zweifels gesät. Am 30. August 1985 öffneten zwei „Basta“-Journalisten einen „Noricum“-Container in einem kroatischen Hafen. An der Haubitze darin war eine Gebrauchsanleitung auf Persisch angebracht. Es war der erste konkrete Hinweis auf den Iran.
Einige Monate später nahm man die Exportgenehmigung zurück. Doch mittels anderer vorgeschobener Abnehmer blieb der Schein gewahrt. Das Kanonengeschäft ging bis 1987 über die Bühne. In der Zwischenzeit hatte aber ein Mitwisser ausgepackt. 1989 wurde Anklage erhoben. Es folgten ein Untersuchungsausschuss und Prozesse gegen Verstaatlichte-Manager und Ex-Politiker. Und es war das symbolische Ende für das Credo der Arbeitsplatzsicherung um jeden Preis.
HINWEIS: Gekürzte Version ist am 5. Juli 2020 in Die Presse am Sonntag erschienen.
Mehr Information zum Noricum-Skandal:
„Macht’s unter der Tuchent”: Die Waffengeschäfte der österreichischen Verstaatlichten Industrie und der Noricum-Skandal, in: Vierteljahrshefte für Zeigeschichte Nr. 1/2016, 99 –137.