Die Hausdurchsuchungen vom 28. Februar 2018, die die sogenannte „BVT-Affäre“ rund um Österreichs Verfassungsschutz losgetreten haben, waren größtenteils rechtswidrig. Das hat das Oberlandesgericht Wien (OLG) genau ein halbes Jahr später so entschieden. Aber wie konnte es überhaupt so weit kommen? Ein kurzer Rückblick auf einige turbulente Tage zu Anfang dieses Jahres.
Am 28. Februar 2018 fanden in sechs Büros des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und an vier Privatadressen Durchsuchgen statt. Beschlagnahmt wurden zwei Mobiltelefone, ein Stand-PC, drei USB-Sticks, acht Floppy-Discs, 397 Seiten Schriftverkehr sowie 315 CDs und DVDs. Laut eines kritischen BVT-Aktenvermerks „entstand der Eindruck, dass es rein um das Sammeln von möglichst vieler Daten ging“. Durchgeführt wurden die Razzien von 58 Beamten von der Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität (EGS) unter Leitung von Oberst Wolfgang Preiszler. Mit dabei waren fünf Staatsanwälte und acht IT-Experten.
Der wichtigste Grund für die Hausdurchsuchungen lag nur wenige Wochen zurück: Am 19. Jänner 2018 – ausgerechnet zwölf Tage vor der Verlängerung des Vertrags von BVT-Direktor Peter Gridling – kam der Generalsekretär des Innenministeriums, Peter Goldgruber, in die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA). Dort führte er ein Gespräch mit den zwei leitendenden Staatsanwälten und übergab ein Konvolut.
Es handelte sich um ein anonymes Dossier rund um angebliche kriminelle Vorgänge im Innenministerium, das bereits seit April 2017 zirkulierte und mehreren Staatsanwaltschaften, dem Bundeskanzleramt, Behörden und Medien zugespielt worden war. Vieles hatte sich nicht verifizieren lassen.
Geschrieben hatte es offenbar ein Insider, der hochrangigen Beamten schwere Verfehlungen vorwarf. Im Zentrum eines korrupten Netzwerks stehe Michael Kloibmüller, ehemaliger Kabinettschef von Ex-Innenminister Wolfgang Sobotka sowie der damalige BVT-Vizedirektor Wolfgang Zöhrer. Die Anschuldigungen lauten unter anderem auf Datenschutzvergehen im BVT, Weitergabe von nordkoreanischen Reisepässen an Südkorea, Veruntreuung und „Abdrehen“ von Ermittlungen, usw.
Die fallführende WKStA-Staatsanwältin Ursula S. notierte in einem Aktenvermerk, wie deutlich der Generalsekretär bei der Übergabe des Materials wurde:
„Goldgruber: Er habe vom Minister den Auftrag, das BMI aufzuräumen. Er ist der Meinung, das BMI ist derzeit so korrupt wie noch nie, […].“
Bei der WKStA selbst war das Dossier schon im Juli 2017 eingelangt. Aber erst infolge des Regierungswechsels war Dynamik in der Causa entstanden, die sich nun spürbar verstärkte. Am 21. Februar 2018 wurde der Kabinettsmitarbeiter Udo Lett mit der ersten Zeugin bei der WKStA vorstellig. Auch am darauffolgenden Tag begleitete er einen zweiten Zeugen als „Vertrauensperson“. Danach wurden am 23. bzw. am 26 Februar 2018 noch zwei weitere Zeugen einvernommen, diesmal ohne Begleitung.
Laut Medienberichten handelte es sich bei den Zeugen um:
- Martin W, den ehemaligen Leiter der Abteilung II des BVT,
- die Ex-BVT-Mitarbeiterin Ria-Ursula P. Lett hat sie zu ihrer Einvernahme begleitet. Als die Staatsanwältin nachfragte, wie es zur Aussage gekommen sei, lautete die Antwort: „Herr Dr. Lett hat mir einfach gesagt, dass ich heute hierherkommen soll. Ich weiß allerdings noch nicht genau, warum.“
- einen für Datenauswertung zuständigen BVT-Beamten,
- den Stellvertreter von Martin W.
Wie sich aus einer parlamentarischen Anfragebeantwortung vom 7. Juli 2018 ergibt, waren bereits ab 31. Jänner 2018 Anhörungen von drei dieser vier Zeugen im Innenministerium erfolgt – bevor sie bei der WKStA vernommen wurden.
Was die dort getätigten Aussagen betrifft, so war eine besonders folgenreich: Beweisvernichtung per Fernlöschung möglich sei. Dass dies technisch doch nicht so ging, sollte sich erst im Nachhinein herausstellen.
Die Hausdurchsuchungen wurden nun angeordnet. Goldgruber nahm an der diesbezüglichen Einsatzbesprechung am 27. Februar 2018 persönlich teil. Bei dieser Gelegenheit stellte er der WKStA-Staatsanwältin EGS-Chef Preiszler vor, der selbst schon sechs Tage zuvor über einen möglichen Einsatz informiert worden war.
Letzter Schritt war spätabends die Genehmigung der Hausdurchsuchungen: Um 22.30 Uhr gab der zuständige Journalrichter des Wiener Landesgerichts für Strafsachen grünes Licht. Und zwar telefonisch. Erst am nächsten Tag, gegen 17.30 Uhr, machte die Staatsanwältin auf dem Rückweg vom BVT einen Zwischenstopp an der Wohnung des Journalrichters und ließ die Durchsuchungsanordnungen nachträglich unterzeichnen.
Das Justizministerium wiederum wurde überhaupt erst am Tag der Hausdurchsuchung informiert, weil die WKStA nicht zu Vorabinformation verpflichtet ist. Einige Tage später beklagte Generalsekretär Christian Pilnacek gegenüber „profil“:
„Ich wäre in Anbetracht der Umstände froh gewesen, hätte die Staatsanwaltschaft mit uns Rücksprache gehalten. Möglicherweise hätten wir Alternativen in Erwägung gezogen.“
Intern wurde Pilnacek noch deutlicher. Laut dem Protokoll einer am 12. März 2018 stattgefundenen Dienstbesprechung, nannte er die direkte Kontaktaufnahme Goldgrubers mit der WKStA einen „Skandal“. Auch ergebe sich „die Dringlichkeit“ der Razzien für ihn nicht:
„Man hätte Gridling um Informationen im Wege der Amtshilfe ersuchen können.“
Aber dafür war es nun zu spät.