Das Terrorkommando kam mit der Ring-Straßenbahn. Am 21. Dezember 1975, kurz vor 11.30 Uhr fuhr man fast direkt vor den Sitz des OPEC-Generalsekretariats am Dr. Karl-Lueger-Ring Nr. 10 (seit 2012 Universitätsring). Gut, dass die Tram an diesem Sonntagvormittag fast leer war. Denn die Gruppe bot ein „lustiges Bild“, erinnerte sich Hans Joachim-Klein: Carlos mit seinen lateinamerikanischen Zügen und der in Wien gekauften Baskenmütze auf dem Kopf, der kleingewachsene „Jussef“, ein „Vollblutaraber“, und der Rest in dicken Jacken, um darunter Waffen zu verbergen: „Wir konnten uns deshalb kaum bewegen, und genauso sah es aus.“ In Adidas-Sporttaschen wurden Maschinenpistolen, Handgranaten, Plastiksprengstoff, Sprengkapseln und für jeden eine Packung Amphetamine zum Wachbleiben mitgeführt. Es war also kein Wunder, dass nicht nur der Schaffner „guckte“.
Es folgt ein Auszug aus meinem Buch „Tage des Schreckens: Die OPEC-Geiselnahme 1975 und die Anfänge des modernen Terrorismus“ (2015)
Die OPEC war im Juli 1965 von Genf nach Wien übersiedelt – man hatte sich in den ersten zwei Stockwerken eines Hochhauses direkt gegenüber der Hauptuniversität eingemietet. Es handelte sich um einen typischen Zweckbau der Wiederaufbauperiode, der zwischen 1965 und 1967 errichtet worden war. Als Architekt verantwortlich zeichnete Carl Appel (1911-1997), der im austrofaschistischen Ständestaat, im NS-Regime und in der Zweiten Republik bruchlos tätig gewesen war. Nach 1945 vermied das NSDAP-Mitglied eine vorgeschriebene Registrierung, indem er positiven Leumund von NS-Opfern vorlegte (1948 wurde Appel schließlich als „minderbelastet“ eingestuft).
Das OPEC-Generalsekretariat sollte noch bis Mai 1977 den Sitz am Dr. Karl-Lueger-Ring haben. Dann wurde in die Obere Donaustraße am Donaukanal übersiedelt, wo die OPEC über Jahrzehnte hinweg ihren Sitz hatte. Im November 2009 übernahm die Organisation einen Neubau in der Helferstorferstraße 17 neben der Börse in der Wiener Innenstadt und damit unweit der ersten Zentrale.

Als nun die Terroristen mit der Straßenbahn ankamen, war die OPEC-Ministerkonferenz bereits seit einer Stunde im Gange. Anwesend waren 13 Erdölminister von Algerien, Ecuador, Gabun, Indonesien, Iran, Irak, Kuwait, Libyen, Nigeria, Katar, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Venezuela, zahlreiche weitere Delegierte sowie deren Mitarbeiter. Da am Ergebnis der Besprechungen großes Medieninteresse herrschte, befanden sich ca. 30 Journalisten vor Ort. Das machte die Situation vor dem Gebäude und im Hausflur „sehr unübersichtlich“ und erleichterte den Terroristen ihr Vorgehen.

„Kein Sicherheitsrisiko“
Vor allem spielte ihnen in die Hände, dass die Sicherheitsvorkehrungen generell lax gehandhabt wurden. Bundeskanzler Bruno Kreisky räumte Anfang 1976 vor dem Nationalrat ein, dass man auf österreichischer Seite einen „entscheidenden Fehler“ gemacht habe: Die OPEC wurde für die am „wenigsten gefährdete Institution“ gehalten, weil damals bereits bekannt war, dass einige der Mitgliedsstaaten zu den Förderern des internationalen Terrorismus zählten. „Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass diese Organisation – auch sie selber kam übrigens zu dem Schluss – kein Sicherheitsrisiko darstellt. Da haben wir geirrt“, so Kreisky.
Laut dem Amtssitzabkommen mit der OPEC von 1974 hatten die österreichischen Behörden, „entsprechend Vorsorge zu treffen, um zu gewährleisten, dass die Ruhe im Amtssitzbereich nicht durch Personen oder Personengruppen gestört wird, die ihn ohne Erlaubnis zu betreten versuchen“. Dafür notwendige Sicherheitsmaßnahmen waren am 24. Februar 1975 im Zusammenhang mit einer am darauffolgenden Tag angesetzten OPEC-Ministerkonferenz zwischen Vertretern der Bundespolizeidirektion Wien und dem OPEC-Generalsekretariat festgelegt worden.
Man kam überein, „dass – wie bei den vorangegangenen Konferenzen – zwei Kriminalbeamte der Abteilung I der Bundespolizeidirektion Wien in die Räumlichkeiten der OPEC kommandiert werden, während vor dem Gebäude zwei uniformierte Sicherheitswachebeamte Dienst versehen sollten. Zur Nachtzeit war der Amtssitz von zwei Sicherheitswachebeamten zu schützen.“
Schutzmaßnahmen für ausreichend befunden
Am 24. November 1975, wenige Wochen vor der für den 20. Dezember angesetzten Ministerkonferenz, ersuchte die OPEC um „angemessene Sicherheitsvorkehrungen“. Weil nach der Informationslage „keinerlei Anhaltspunkte für irgendeine feindselige Aktion gegen den Amtssitz oder einzelne OPEC-Delegierte bzw. Angehörige vorlagen“, hielt man die einige Monate zuvor vereinbarten Schutzmaßnahmen für ausreichend, erläuterte Kreisky in seiner Rede vor dem Nationalrat.
Von Seiten der OPEC waren Kontrollen beim Eintritt in das Haus nicht gestattet worden. Innenminister Otto Rösch beschwerte sich deswegen noch während der Krisensitzung im Bundeskanzleramt am Abend der Geiselnahme: „Vor gar nicht langer Zeit gab es irgendwo in der Presse eine Mitteilung, dass es im OPEC-Gebäude strenge Kontrollen gäbe. Auf Grund dieser Mitteilung hat der Pressereferent dieser Organisation alle Journalisten eingeladen und darauf besonders hingewiesen, dass jeder in diesem Haus aus- und eingehen könne, das Haus sei ‚frei‘.“
Die hohe Frequenz war deshalb gegeben, weil sich in dem siebenstöckigen Hochhaus neben der OPEC noch die kanadische Botschaft, die Österreich-Zentrale der Erdölfirma Texaco, eine Dienststelle der Gemeinde Wien und eine Privatwohnung befanden. Alle diese Räumlichkeiten waren über die beiden gemeinsamen Stiegenaufgänge und die ebenfalls gemeinsamen drei Liftanlagen erreichbar. Mit einem engmaschigen Sicherheitskonzept waren solche Bedingungen jedenfalls nicht vereinbar.

An jenem Sonntagvormittag war direkt vor dem Eingang in das OPEC-Gebäude ein einzelner Polizeibeamter positioniert, der aber nur die Zu- und Abfahrt regelte und daher niemanden kontrollierte. In den Räumlichkeiten der OPEC versahen zwei Staatspolizisten Dienst: Der 60jährige Anton Tichler, der zwei Monate vor der Pensionierung stand und der 59jährige Josef Janda. Die Anweisung an sie lautete, im Gefahrenfall möglichst nicht von der Schusswaffe Gebrauch zu machen, sondern Meldung zu machen. Mit Funkgeräten dafür waren sie allerdings nicht ausgestattet. Der einzige zusätzliche Sicherheitsmann, ein gebürtiger Iraker, war bei der OPEC beschäftigt und versah den Dienst unbewaffnet.
Für den Objektschutz war ein „Maulwurf“ zuständig
Zuständig für den Objektschutz bei der Staatspolizei war damals Gustav Hochenbichler – erst kurz vor seinem Tod 1995 sollte sich der Verdacht erhärten, dass er insgeheim für mehrere Ostgeheimdienste spioniert hatte. Als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) „Bau“ soll er nach Aussage zweier Überläufer der DDR-Staatssicherheit über „tote Briefkästen“ und bei offiziellen Anlässen – etwa Botschaftsempfängen – Informationen übergeben und dafür 1.000 D-Mark monatlich erhalten haben. Außerdem soll Hochenbichler mehrmals in die DDR gereist sein. Berichte verkaufte er auch an den KGB – dafür soll er unter dem Decknamen „Sorokin“ 50.000 Schilling erhalten haben.
Gegen Hochenbichler, der bis 1991 stellvertretender Leiter der Wiener Staatspolizei und danach bis 1993 Chef der Wiener Fremdenpolizei war, wurde wegen eines fortgeschrittenen Krebsleidens kein Verfahren mehr eröffnet. Er verstarb am 2. März 1995. Die Beweislage war letztlich so dicht gewesen wie in keinem anderen Spionagefall bei der Staatspolizei. So war bei einer Hausdurchsuchung eine Analyse libyschen Geheimdienstes aus der Feder eines „befreundeten Dienstes“ gefunden worden.
Das Dossier enthielt Namen und Organisationsstrukturen – eine allfällige Weitergabe an die DDR-Staatssicherheit hätte schwerwiegende Konsequenzen gehabt, denn letzter arbeitete mit der libyschen Seite eng zusammen. Erkannte Terroristen hätten gewarnt oder laufende Ermittlungen vereitelt werden können.
Ob die Geiselnehmer 1975 über irgendwelche östlichen Geheimdienstkanäle Informationen zu den Sicherheitsvorkehrungen bekamen, die ursprünglich von Hochenbichler stammten, ist Spekulation. Wahrscheinlicher ist, dass diese Hinweise aus libyschen Kreisen stammten.
Wie verletzbar Objekte wie die OPEC waren, hatte sich nur zwei Monate vor der Geiselnahme gezeigt: Am 22. Oktober 1975 waren Killer der Armenischen Geheimarmee (ASALA) in die türkische Botschaft in Wien-Wieden eingedrungen. Dort ermordeten sie Botschafter Danis Tunaligil und entkamen unerkannt. Einerseits hatte das türkische Sicherheitspersonal versagt – andererseits ging die ungehinderte Flucht der Terroristen „zu Lasten der österreichischen Behörden“, wie Erich Grolig in der „Presse“ kritisierte: Vielleicht seien diese „selbst Opfer eines von der Spitze her verbreiteten Gefühls der Laxheit“ geworden, „auf dieser ‚Insel der Seligen’ werde schon nichts geschehen“.
Laut Artikel 22 des „Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen“ sei der Empfangsstaat verpflichtet, alle geeigneten Maßnahmen zum Schutz der ausländischen Mission zu treffen. „Weiterwursteln ist das Bequemere und kostet auch nichts. Doch wie gesagt, nun liegt ein toter Botschafter auf dem Wiener Parkett. Vielleicht sollte man doch etwas tun?“, fragte Grolig zugespitzt.
In Wien sicher gefühlt
Auch wenn sich die OPEC-Geiselnahme mit diesem Fall nur bedingt vergleichen lässt, so ist es doch überraschend, wie unvorbereitet man erneut getroffen wurde. Denn es gab auch ernstzunehmende Drohungen gegen die Sicherheit des saudi-arabischen Erdölministers Zaki Yamani: Anfang 1975 war in einer Londoner Wohnung, die Carlos als Unterschlupf bewohnt hatte, eine „Todesliste“ gefunden worden. Neben prominenten britischen Geschäftsleuten und Politikern sowie dem Violinisten Yehudi Menuhin fand sich darauf auch der Name Yamani. Letzterer beschwerte sich nach der Geiselnahme, dass den Behörden diese Hinweise eigentlich hätten bekannt sein müssen.
Dem war auch so: Noch im Verlauf der Krisensitzung im Bundeskanzleramt wurde Innenminister Rösch eine „Akte über Carlos“ gebracht – darin befand sich ein Verweis auf jene Liste. Wie Yamani seinem Biografen Jeffrey Robinson anvertraute, hatte sich die OPEC trotz allem in Wien sicher gefühlt: „Österreich ist ein offenes Land. Sie schränken die Bewegungsfreiheit von Menschen, die kommen und gehen, nicht ein. Es gibt so etwas wie eine Übereinkunft oder ein Gentlemen’s Agreement, wenn sie so wollen, dass Terroristen in Österreich nicht operieren.“
Allerdings habe man seitens der OPEC mehr Sicherheitsvorkehrungen für das Konferenzgebäude verlangt: „Es gab einen Zwischenfall in demselben Gebäude. Die kanadische Botschaft war dort, und es hatte eine Bombendrohung oder so etwas gegeben. Deshalb hatte das OPEC-Sekretariat nach Sicherheit verlangt. Aber es wurde nie etwas getan.“ Nach der Geiselnahme las Yamani dem österreichischen Botschafter in Saudi-Arabien die Leviten: Er laste Österreich die „volle Verantwortung an den unzulänglichen Sicherheitsvorkehrungen“ an. Auch sei seither nicht zu erkennen, „dass Österreich diese Frage ernst nehme“.
In den Medien wurde ebenfalls Kritik laut. Dem „Kurier“ zufolge hatten arabische Delegierte Wochen vor der Geiselnahme erzählt: „An den Abenden wird uns oft mulmig. Wenn man nach Dienstschluss noch zu tun hat, stehen plötzlich fremde Leute in der Tür oder schlichen über unsere Gänge. Im Grunde genommen, kann jeder hinein.“ Im Nachhinein wollte Kreisky die Frage, ob die Bewachung ausreichend gewesen sei, nicht überbewerten: „Zwei sind tot. Wenn’s zehn Bewacher gewesen wären, wären auch zwei tot gewesen!“
Noch in der Pressekonferenz unmittelbar nach Beendigung der Krisensitzung sagte er: „Wir haben eine Menge an Sicherheitsvorkehrungen getroffen, aber niemand weiß – es gehört zum Wesen der terroristischen Bedrohung, dass man nicht im Vorhinein weiß, wo zugeschlagen wird. Das ist halt das Problem. […] Ja, das kann man technisch auch gar nicht bewältigen. […] da bräuchte man ein Heer von Polizisten, das man sich nur in einem Polizeistaat leisten kann, das können wir nicht.“
Mehr lesen: „Tage des Schreckens: Die OPEC-Geiselnahme 1975 und die Anfänge des modernen Terrorismus“ (2015)
Die OPEC-Geiselnahme in Wien 1975: Eine Analyse 40 Jahre danach, in: Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies, Vol. 10. Nr. 1/2016, 44 – 68. pdf