Der Terror der „Roten Hand“

Vor 65 Jahren wurde der Waffenhändler Marcel Leopold in Genf ermordet. Neue Dokumente geben Aufschluss über die Hintergründe. Und in den USA sucht Leopolds Tochter nach der Wahrheit.

Die Jäger lauerten ihrer Beute lange auf, bevor sie zuschlugen. Aus einem geparkten Auto sollen sie über mehrere Wochen die tägliche Routine des Waffenhändlers Marcel Leopold überwacht haben.

Am Donnerstagnachmittag, 19. September 1957, schlagen sie zu. Als Leopold zu seiner Wohnung in der Genfer Cour de Rive Nr. 16 aus dem Lift steigt, trifft ihn ein Stahlpfeil in die linke Seite, was zu massiven inneren Blutungen führt. Der 55jährige Leopold schafft es noch, an der Türe zu klingeln. Als seine Frau öffnet, stammelt er noch, dass er „vergiftet“ worden sei und bricht zusammen. Wenige später ist er tot. Ein Hausbewohner nimmt noch einen flüchtenden Unbekannten im Treppenhaus wahr. Zwischen 40 und 50 Jahre alt soll er gewesen sein, rund 180 cm groß, gut gekleidet und von kräftiger Statur. Draußen angekommen springt der Mann zum Komplizen ins Auto und sie verschwinden.

Die Mordwaffe wurde ein Stockwerk tiefer gefunden. Es war ein 40 cm langes Rohr, das aussah wie eine Fahrradpumpe. Tatsächlich befand sich im Inneren ein pistolenartiger Mechanismus mit Schlagbolzen und Treibladung. Auf diese Weise wurde der Pfeil verschossen, dessen abnehmbare Spitze Leopold tödlich getroffen hatte. Das alles regte Spekulationen an. So wurde behauptet, das Projektil sei mit dem südamerikanischen Pfeilgift Curare präpariert gewesen.

Die Mordwaffe

„Alles was wir wissen ist, dass es nicht wie ein Mord aussieht, der von einem Europäer verübt wurde“, zitierte das Time-Magazin einen offiziellen Sprecher und titelte selbst: „Murder, Foreign Style“. Noch Anfang 1958 regte Außenminister Max Petitpierre bei der Botschaft in Kairo Nachforschungen an, ob die seltsame Mordwaffe nicht aus nordafrikanischen Kreisen stammen könnte. Doch der Botschafter konnte die „gewünschten Auskünfte“ nicht liefern: „Die Befragten vertraten die Meinung, dass es sich bei der Waffe um eine Einzelanfertigung handeln dürfte.“

Eine Tochter in Las Vegas

Der Mordfall Marcel Leopold ist bis heute ungeklärt. Wohl niemand wäre mehr interessiert, die Wahrheit zu erfahren, als Madeleine S.: Sie ist die Tochter von Marcel Leopold und lebt heute als Künstlerin in Las Vegas. Sie war 32 Jahre alt, als sie zum ersten Mal erfuhr, wer ihr Vater eigentlich wirklich war. Ihr Ziehvater hatte sich damit Zeit gelassen, sie aufzuklären, bis er selbst im Sterben lag. Mit ihm war Madeleine nie besonders eng geworden.

Die Distanz hatte wohl mit einem traumatischen Erlebnis zu tun. Am Morgen des 5. Juli 1954, als Madeleine sieben Jahre alt war und in New York lebte, schreckte ein lauter Pistolenknall sie hoch. In der Küche fand sie ihre tote Mutter. Ob Irene Jvansky Selbstmord begangen hatte oder Opfer eines Unfalls wurde, ließ sich nie eindeutig klären. Zu den wenigen Erinnerungen Madeleine gehört aber die Traurigkeit ihrer Mutter und dass sie selbst nichts dagegen tun konnte.

Erst viele Jahrzehnte später konnte Madeleine ihre Herkunft rekonstruieren. Sie war am 28. April 1947 in Tianjin, einer Hafenstadt in Nordchina, geboren worden. Kurze Zeit später wurden sie und ihre Mutter von Leopold in die USA geschickt. Vorher hatte er noch eine Scheinehe Irenes mit Joseph Gillis, einem US-Soldaten, arrangiert. Dieser nahm Irene und Madeleine in Empfang nachdem diese mit der SS Gordon im Oktober 1947 in San Francisco eintrafen. Gillis half Irene noch etwas dabei, etwas Fuß zu fassen und ließ sich bald scheiden als es Probleme mit der Einwanderungsbehörde gab. Diese hatte Irene verdächtigt, eine Kommunistin zu sein. Von Leopold kamen noch einige Zeit Briefe, dann brach der Kontakt ab. Irene glaubte, ihr Mann sei umgekommen. Doch die Geschichte war anders verlaufen.

Als Glücksritter in China

Leopold hatte es schon 1918 nach Tianjin verschlagen. Innerhalb weniger Jahre war dort aus dem mittelosen Glücksritter ein extravaganter Neureicher geworden. Begonnen hatte alles mit Diamanten- und Schmuckhandel, der Leopold den Zugang zur lokalen Elite eröffnete. Diese war stetig im Aufruhr. Denn China war zwischen 1927 und 1949 Schauplatz eines Bürgerkriegs zwischen Kommunisten und verschiedener Warlords.

Diese Wirren boten Chancen, die Leopold ergriff. Er betätigte sich als Waffenhändler und belieferte die verschiedenen Seiten mit Munition jeden Kalibers. Weitere Einnahmen sprudelten aus einem 1935 eröffneten Casino, einer Pferderennstrecke und Börsenspekulation.

Den so gewonnenen Reichtum stellte der Tycoon zur Schau: In den Jahren 1936-1938 ließ er sich von einem französischen Architekten ein 10-stöckiges modernistisches Hochhaus in einer zentralen Straße von Tianjin erreichten. Dieses trägt noch heute den Namen „Leopold Building“. Es war das damals höchste Gebäude der Stadt. Leopold bewohnte den gesamten 9 Stock, in dem sich eine Luxuswohnung samt Bibliothek und großem Balkon befand. Gleich darunter residierte Leopolds Anwalt, auf dessen Dienste er angewiesen war.

Das Leopold Building in Tianjin (Credit: TJArchi-Studio/Wikimedia Commons)

Denn die Glücksträhne hielt nicht ewig. 1951 meldete die Schweizer Gesandtschaft in Peking über Leopolds Aktivitäten: „Er nahm u. a. beträchtliche und hoch verzinsliche Darlehen bei der Europäer- und Chinesengemeinde Tientsin auf und investierte sie in Großbritannien und im Betrieb eines großen Spielhauses. Diese Kapitalanlagen waren nicht unvernünftig, aber äußerst riskiert.“ Trotzdem sei es Leopold gelungen, „sich während all dieser Jahre zu behaupten. Sein Ruf als Geschäftsmann ist aber nicht gerade der beste, und er hat zahllose Gläubiger, die er wohl nie wird befriedigen können, da die Realisierbarkeit seiner Investitionen immer fragwürdiger wird“.

Zu den wirtschaftlichen Turbulenzen kam ein tiefgreifender politischer Umbruch. 1947 gingen die Kommunisten gingen zur Offensive über, was Leopolds Position immer schwieriger machte. Deshalb organisierte er die erwähnte Ausreise von Frau und Tochter. Nach der kommunistischen Machtübernahme (1949) wurde Leopolds Eigentum beschlagnahmt und er selbst für zweieinhalb Jahre ins Gefängnis gesperrt.

Man warf ihm vor, nach der Niederlage Japans 1945 feindliches Eigentum – darunter japanisches und chinesisches Armeematerial – von Mitgliedern der gestürzten pro-japanischen Marionettenregierung entgegengenommen und teils zu Geld gemacht zu haben.

Nach Verbüßung einer zweieinhalbjährigen Gefängnisstrafe kehrte Leopold 1954 ruiniert nach Genf zurück. Er hatte wieder geheiratet. Aber Pläne für den Bau einer Sporthalle und die Gründung eines Wettgeschäfts zerschlugen sich. Leopold stellte auch einen Antrag an die Kommission für Japan-Entschädigung, die die „erlittenen Schäden“ von Schweizer Staatsbürgern während des 2. Weltkriegs in Asien prüfte. 1956 wurde ablehnend entschieden.

Sprengstofflieferant der algerischen Rebellen

Es blieb der Waffenhandel. Seit 1954 tobte der Algerienkrieg zwischen der französischen Kolonialmacht und der algerischen Befreiungsfront (FLN). Es war ein ungleicher Kampf, weshalb die Rebellen sich bei westeuropäischen Waffenhändlern Panzerfäuste, Sprengstoff, Schnellfeuergewehre, Maschinenpistolen und Granatwerfer besorgten. Diesen Nachschub zu unterbinden, das wurde zur Aufgabe des französischen Auslandsgeheimdiensts Service de Documentation Extérieure et de Contre-Espionnage (SDECE). Alle Mittel waren dafür recht. Das sollte auch Leopold zu spüren bekommen.

Er traf im August 1956 mit zwei Abgesandten der FLN zusammen, die 50 kg „Plastic“ (Plastiksprengstoff) orderten. Über Mittelsmänner wurde der Sprengstoff in Schweden beschafft und wurde Anfang Jänner 1957 in zwei Koffern via Genf nach Tripolis ausgeflogen. Zur selben Zeit erhielt Leopold eine neuerliche „Plastic“-Bestellung. Diesmal wurden 60 kg in einer Schweizer Sprengstoff-Fabrik in Gamsen produziert, nachdem versichert worden war, die Ware wäre für Bohrfelder in Marokko bestimmt. Doch als sich Leopold und ein Geschäftspartner am 28. Jänner 1957 mit zwei FLN-Leuten zwecks Übergabe am Flughafen Coitrin-Genf trafen, schlug die Bundespolizei zu. Leopold blieb nicht lange in Gewahrsam. Aber der SDECE hatte ihn nun auf dem Radar.

Eine wesentliche Rolle spielte dabei der Schweizer Bundesanwalt Rene Dubois. Dieser hegte Sympathien für die französische Sache. So hatte er bei einem Besuch bei der Pariser Polizei 1956 gemeint, dass sich in Nordafrika nicht nur das Schicksal Frankreichs, sondern „vielleicht sogar der weißen Rasse“ entscheide. Dem als Handelsattaché in Bern getarnten SDECE-Agenten Marcel Mercier war es daher ein leichtes, Dubois anzuzapfen. Über den Bundesanwalt und dessen Untergebenen, den Bundespolizei-Inspektor Max Ulrich, bekam Mercier „Hunderte“ Dokumente zugespielt. Anfang 1957 beging Dubois in einer Panikreaktion Selbstmord, als der Skandal ruchbar wurde. Ulrich wurde zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt.

Unter den Dokumenten, die der Inspektor geleakt hatte, war auch ein Monatsbericht, der den Fall von Leopold „ausführlich“ darstellte. „Vermutlich am 4. März 1957“ bekam Mercier das Dokument in die Hände: „Letzterer durfte von dem Schriftstück sofort eine Fotokopie hergestellt haben“, heißt es in einem Dossier zu Leopold. Es war die „Hauptinformationsquelle der französischen Dienste“ zu den Aktivitäten des Waffenhändlers. Leopold bekam das rasch zu spüren.

Bereits am 8. April 1957 sei er vor dem Hotel „Russie“ in Genf von einem gewissen Colonel Perrin angesprochen und gefragt worden, „was eigentlich los sei, warum man ihn verhaftet habe; was er mit den Algeriern zu tun haben“. Der französische Geheimdienstoffizier habe erklärt, „man sei in Paris auf dem Laufenden“.

In der Folgezeit soll Leopold öfters Drohbriefe erhalten haben, ließ sich aber nicht abbringen. Noch am Vorabend seiner Ermordung soll er in einem China-Restaurant in Genf mit einem anderen Waffenhändler zusammengesessen sein. Dieser Georg Puchert, ein Baltendeutscher, belieferte ebenfalls die FLN. Und wie Leopold sollte er ebenfalls ein gewaltsames Ende finden. Puchert starb 1959 bei einem Bombenattentat in Frankfurt.

Die „Rote Hand“

Beide waren Opfer derselben mörderischen Geheimoperation des SDECE geworden, die grenzüberschreitend durchgeführt wurde. Es kam unter anderem zu Anschlägen in Belgien, Deutschland, der Schweiz und in Frankreich selbst. Ins Visier genommen wurden nicht nur Waffenhändler, sondern auch FLN-Netzwerke und ihre Sympathisanten. Zwecks Tarnung erfolgte alles unter dem Deckmantel einer fiktiven Terrororganisation.

Für diese „Rote Hand“, manchmal „Catena“ (Kette) genannt, rekrutierte man im Milieu von Ex-Häftlingen, Zuhältern und ehemaligen Polizeikräften aus den einstigen Kolonien Tunesien und Marokko. So steht es im Buch des Whistleblower P. L. Thyraud de Vosjoli, das er 1970 über seine Zeit beim SDECE veröffentlichte. Ihm zufolge lässt sich die Zahl der Opfer der „Roten Hand“ gar nicht beziffern, weil viele Todesfälle als natürlich eingestuft wurden. Die „alte Garde“ des SDECE habe mit diesen kriminellen Aktivitäten nichts zu tun haben wollen.

Bis heute sind dazu kaum Dokumente dazu zugänglich. 2021 wurde zumindest eine Akte bekannt, die Aufschluss darüber gibt, wie umfangreich diese schmutzige Kriegsführung gewesen ist. 38 Sabotage- und Mordmissionen des SDECE im Zeitraum Januar 1956 bis März 1958 werden darin auflistet, wovon 30 tatsächlich durchgeführt wurden.  Die Mehrzahl betraf Ziele in Nordafrika (68 Prozent), während die übrigen in Deutschland (3), Italien (2), Spanien (2), Schweiz (2), Frankreich (1) und Belgien (1) sowie im Nahen Osten (2) stattfanden.

Es wurden selbst Morde an hochgestellten politischen Führern wie dem ägyptischen Präsidenten Gamal Nasser geplant. Der im Jahr 1956 geplante Anschlag wurde aber von den politischen Entscheidungsträgern untersagt. Aus dem Dokument geht auch hervor, dass Leopold gleich zweimal von den Killern des SDECE ins Visier genommen wurde. Bereits im August 1957 fand ein erster Versuch am späteren Mordschauplatz statt. Aber die Waffe funktionierte im entscheidenden Moment nicht. Bereits im Monat darauf wagte man einen neuen Anlauf und dieses Mal lief alles „glatt“.

Laut eines Insiderberichts, der Anfang der 1970er Jahre in einem französischen Geschichtsmagazin erschien und nie dementiert wurde, soll ein gewisser Sergeant „M“. der Mörder gewesen sein – unter Anleitung eines Capitain Pierre T. Die Waffe war eine Spezialanfertigung aus der Gadget-Werkstatt des SDECE. Offenbar war tatsächlich irgendein Gift im Spiel gewesen. Dessen Wirksamkeit soll zuvor an einem hundert Kilo schweren Schwein erprobt worden sein. Unmittelbar nach der Tat sollen die beiden Agenten an der Grenze vom Zoll aufgehalten worden sein, weil T. vergessen hatte, eine Uhr zu deklarieren.

Die Behörden ermittelten in eine andere Richtung. In den Fokus gerieten Puchert und vor allem dessen Geschäftspartner Rudolf Arndt. Es wurde eine Fehde unter Konkurrenten vermutet, der Leopold zum Opfer gefallen war. Denn sowohl Puchert als auch Arndt waren Ende September 1957 in Genf gewesen. Nachdem erster nach seinem gewaltsamen Tod nicht mehr befragt werden konnte, konzentrierte man sich auf Arndt. Er wurde im April 1961 in den Niederlanden verhaftet und in die Schweiz ausgeliefert. Weil er dort um seine Sicherheit vor der „Roten Hand“ fürchtete, versuchte Arndt die Überstellung mit einem Hungerstreik zu verhindern, was nicht gelang.

Ende August 1961 wurde er aber wieder auf freien Fuß gesetzt. So hatte ein Geschäftspartner bestätigt, dass Arndt am 17. September 1957, zwei Tage vor dem Mord an Leopold, nach West-Berlin zurückgereist sei. Die Spur hatte ins Leere geführt – ebenso wie die Vermutung, Leopold sei einem Racheakt der FLN zum Opfer gefallen, weil er die erste Tranche Sprengstoff überteuert verkauft hatte.

Die Mordserie inspirierte einen westdeutschen Kinofilm
(Die Rote Hand, 1960)

Tatsächlich war es Staatsterror gewesen, der auf höchster Ebene abgesegnet wurde. Zwei Jahre nach dem Mord an Leopold war ein eigener Mechanismus etabliert worden: Einem Dreierkomitee wurde vom SDECE eine Liste mit Namen potentieller Zielpersonen vorgelegt. Jene, die dann mit Bleistift angekreuzt wurden, waren für „physische Eliminierung“ vorgesehen. So erinnerte sich ein Mitglied des Trios Ende der 1990er Jahre: Constantin Melnik war zwischen 1959 und 1962 Verbindungsmann zum SDECE. Außer ihm haben der enge Mitarbeiter von Präsident Charles De Gaulle, Jacques Foccart, und Premierminister Michael Debre über Leben und Tod entschieden.

2020 wurde ein Dokument bekannt, aus dem hervorgeht, dass Foccart 1958 persönlich die Ermordung des deutschen Export-Import-Kaufmanns Wilhelm Schulz-Lesum abgesegnet hatte. Schulz-Lesum war ein Vertrauensmann der Deutschen Botschaft in Madrid und organisierte in Abstimmung mit der FLN die Desertion von Fremdenlegionären aus Nord-Marokko. Das schadete den französischen Kriegsanstrengungen, weshalb Schulz-Lesum „neutralisiert“ werden sollte – und zwar durch Verwendung eines „schwer nachweisbaren Gifts mit verzögerter Wirkung“. Foccart vermerkte seine „prinzipielle Zustimmung“. Doch Schulz-Lesum wurde rechtzeitig gewarnt und konnte sich nach Spanien in Sicherheit bringen.

Laut Melnik soll die „Rote Hand“ alleine 1961 103 FLN-Leute und Waffenhändler „eliminiert“ haben – wobei sich die Mehrzahl der Tötungen in Nordafrika und im Nahen Osten ereignete, wo die FLN ihre Basen hatte. Was die Vorgänge in Westdeutschland betraf, so konnte sich der SDECE übrigens auf die stillschweigende Duldung des Bundesnachrichtendiensts (BND) verlassen. Dessen Präsident, Reinhard Gehlen, hatte den französischen Kollegen 1959 „jede Hilfe im Rahmen des Möglichen“ zugesagt. Das geht aus einer Aktennotiz hervorgeht, die der Historiker Wolfgang Krieger in seinem Buch „Partnerdienste“ 2021 zitierte.

Auch in der Schweiz forderte der Terror der „Roten Hand“ nach dem Attentat auf Léopold weitere Opfer: Am 9. November 1957 wurde der Hersteller von Präzisionsinstrumenten und Geschäftspartner von Léopold, Leo Geiser, ermordet. 1960 schob ein SDECE-Agent dem Anführer des antikolonialen Widerstands in Kamerun, Félix-Roland Moumié, eine tödliche Dosis Rattengift beim Abendessen unter. Beide Male war Genf Schauplatz der Verbrechen. Am 27. Juli 1961 wurde dann noch der Waffenhändler Paul Stauffer vor der Garage seiner Wohnung in Zürich niedergeschossen.

Letztendlich konnten all die Morde und Sabotageakte die algerische Unabhängigkeit (1962) nicht verhindern. Auch wenn der Nachschub aus Westeuropa de facto zum Erliegen gebracht wurde, bekam die FLN immer noch genügend Waffen aus dem Ostblock und von arabischen Verbündeten. Die Morde der „Roten Hand“ waren somit folgenlos. Und sie wurden nie gesühnt, auch wenn sich etwa Marcel Mercier vor der Rache der Opfer unter dem Alias „Mareuil“ versteckten musste.

Für Angehörige wie Madeleine S. bleibt eine nagende Ungewissheit – gerade auch weil sie ihren Vater nur von einigen wenigen alten Fotographien kennt. Dafür werden die Methoden der „Roten Hand“ noch heute angewandt – wie die Attentatsserie gegen den bulgarischen Waffenhändler Emilian Gebrev zeigte. Dieser soll die Ukraine beliefert haben und wurde 2015 mit Nowitschok vergiftet. Außerdem kam es mehrmals zu Explosionen in Depots, die Gebrevs Firma EMCO gehören. Daran zeigt sich wie aktuell die Causa Leopold nach mehr als sechs Jahrzehnten immer noch ist.

Siehe dazu auch:

https://www.woz.ch/2042/politischer-mord-in-genf/rattengift-zum-abendessen

https://www.nzz.ch/schweiz/staatsterror-per-pfeilgeschoss-ld.1645442?reduced=true

%d Bloggern gefällt das: