„Dringender Verdacht“: Warum die Familiengeschichte von Jan Marsalek ein Schlüssel sein könnte

Im Fall des flüchtigen Wirecard-Managers Jan Marsalek gibt es einen Aspekt, der bislang noch nicht berücksichtigt wurde. Sowohl er als auch sein 2011 verstorbener Großvater, Hans Marsalek, waren mit dem österreichischen Nachrichtendienst verbunden. Während Jan Marsalek mutmaßlich dazu beigetragen hat, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) 2021 „untergegangen“ ist, hatte sein Großvater dabei mitgewirkt, den BVT-Vorgänger, die Staatspolizei, nach 1945 wiederaufzubauen. Neue Dokumente aus dem Staatsarchiv belegen, dass Hans Marsalek unter Verdacht gestanden hatte, Informationen an die sowjetische Besatzungsmacht weitergegeben zu haben. Vielleicht kann dieser Aspekt mit dazu beitragen, ein besseres Verständnis des rätselhaften Jan Marsalek zu erschließen.

Der 1914 geborene Hans Marsalek war ein Held des Widerstands. Er kämpfte bereits ab 1936 im Wiener Untergrund gegen den austrofaschistischen Ständestaat. Vor der Einberufung zur Wehrmacht floh er dann nach Prag und war dort illegal in der Tschechischen Kommunistischen Partei tätig. Am 28. Oktober 1941 wurde Marsalek von der Gestapo verhaftet und verbrachte mehrere Monate im Landesgericht Wien und im Gestapo-Gefängnis. 1942 wurde er im KZ Mauthausen interniert. 1944 wurde Marsalek Lagerschreiber und war er an Häftlings-Sabotageakten beteiligt.

Hans Marsalek in Gestapo-Haft 1941 (Credit: mkoe.at)

Jahrzehnte später, ab 1964 bis 1976, war Marsalek Leiter der Gedenkstätte und des Museums Mauthausen. Er war führend an der Gründung der Österreichischen Lagergemeinschaft Mauthausen und des Comité International de Mauthausen beteiligt. Auf diese Weise und als Autor zahlreicher Publikationen hat er sich große Verdienste um Österreichs Erinnerungskultur erworben.

Dafür, dass sein Enkel Jan Marsalek die Schlüsselfigur im Wirecard-Finanzkrimi ist, ist Hans Marsalek natürlich keinerlei Vorwurf zu machen. Nichts kann seine Rolle im Widerstand und sein Nachwirken relativieren. Darum geht es in dieser Recherche auch gar nicht – sondern um die eingangs erwähnte Verstrickung von Großvater und Enkel mit der Geschichte von Staatspolizei und BVT.

Marsalek fungierte ab der zweiten Hälfte des Jahres 1945 als einer von vier Referatsleitern der Abteilung I, der Staatspolizeilichen Abteilung der Wiener Polizeidirektion. Diese war am 8. August 1945 vom Staatssekretär für Inneres, Franz Honner (KPÖ) aktiviert worden. An die Spitze setzte Honner schon im Juni 1945 Heinrich Dürmayer. Dieser hatte im spanischen Bürgerkrieg als Kriegskommissar der Internationalen Brigaden mit nachrichtendienstlicher Arbeit Erfahrung gesammelt.

Dürmayer war Häftling in den Konzentrationslagern Flossenbürg, Auschwitz und Mauthausen gewesen – und von dort mit Marsalek bekannt. Die Führungsebene der Wiener Staatspolizei bestand überhaupt aus ehemaligen Spanienkämpfern und/oder KZ-Häftlingen bzw. wegen ihrer Widerstandstätigkeit von NS-Gerichten zu Zuchthausstrafen Verurteilten.

Das spiegelte die Machtverhältnisse wieder: Wien war zu diesem Zeitpunkt eine besetzte und in Zonen geteilte Stadt. Der Polizeidienst war maßgeblich durch die sowjetische Besatzungsmacht aufgestellt und reorganisiert worden. Von Beginn an herrschten daher Spannungen zu den übergeordneten Strukturen im Innenministerium, wo die Parteien ÖVP und SPÖ mit Hilfe der westlichen Besatzungsmächte den Ton angaben.

Ungeachtet dessen leistete Dürmayer systematische Aufbauarbeit. Dank der Unterstützung durch den sowjetischen Stadtkommandanten war er mit großen Vollmachten ausgestattet und verfügte bald über einen Apparat mit mehreren Hundert Beamten. Der Personalstand der Abteilung I umfasste im Jahr 1946 679 Beamte und Angestellte, darunter 204 Frauen – von denen 90 Prozent als Kommunisten, neun Prozent als Sozialdemokraten und lediglich ein Prozent als Parteigänger der ÖVP eingestuft wurden.

Die Wiener Staatspolizei war zunächst in der Herrengasse 13 und dann am Deutschmeisterplatz Nr. 3 untergebracht (Credit: Autor)

Die Priorität der Staatspolizei in diesen Gründerjahren galt der Ausforschung und Verhaftung ehemaliger Nationalsozialisten: Im November 1945 befanden sich in Arbeits- und Anhaltelagern der Staatspolizei in der Geiselbergstraße und auf der Simmeringer Haide 1.340 Nationalsozialisten. Ein Teil wurde bald freigelassen, der andere Teil wurde entweder den Alliierten oder den österreichischen Volksgerichten zur Aburteilung übergeben. Bis zum 31. Dezember 1946 waren es „nur“ mehr 35 Arretierte.

Dürmayers Staatspolizei war aber auch ein Mittel, um den kommunistischen Einfluss in der sowjetischen Besatzungszone durchzusetzen. Laut Innenminister Oskar Helmer (SPÖ), eines ausgewiesenen Antikommunisten und Gegners Dürmayers, verhaftete die Staatspolizei „nach Belieben, sie führte Hausdurchsuchungen ohne gerichtliche Bewilligung durch, nahm ,Verhöre‘ vor, beschlagnahmte Lebensmittel und andere Waren und errichtete Anhaltelager, in denen nicht nur Nationalsozialisten, sondern viele andere den Kommunisten missliebige Personen durch Wochen und Monate gefangen gehalten oder gar – was noch schlimmer war – an die Besatzungsmacht als ,Faschisten‘ ausgeliefert wurden.“

Dürmayers Stellvertreter Valentin Strecha wiederum erhob in seinen Memoiren den Vorwurf, die Wiener Staatspolizei sei in ihrer Tätigkeit „immer mehr behindert“ worden. Strecha und seine Kollegen seien auf „harte Grenzen“ gestoßen, „wenn wir die Vergangenheit verschiedener Leute untersuchen wollten“.

Dürmayer (sitzend links) vernimmt im September 1945 den NS-Verbrecher Maximilian Grabner (Quelle: Wikimedia Commons/Fotocollectie Anefo)

Denn sowohl Dürmayer als auch der sowjetischen Besatzungsmacht war ein hochbrisanter Fund verschwiegen worden. Noch 1945 waren in den Großöfen der Zentralheizung des Wiener Parlamentsgebäudes die Akten des Gaupersonalamts des Reichsgaues Wien („Gauakten“) sichergestellt worden. In den letzten Tagen des NS-Regimes hatte man die Öfen mit den Dokumenten so vollgestopft, dass die Luftzufuhr unterbunden und die Vernichtung verunmöglicht wurde.

Die rund 300.000 Faszikel gaben Aufschluss über NS-belastete Österreicherinnen und Österreicher. Maximilian Pammer, der Leiter des staatspolizeilichen Büros im Innenministerium, ließ die Dokumente ins Ministerium bringen. Eine erörterte Vernichtung wurde nicht realisiert, weil dies einen Beschluss des Alliierten Rates vom April 1946 verletzt hätte. Der langjährige Verschluss der Gauakten verhinderte aber eine ernsthafte Debatte über die NS-Vergangenheit und Fragen der individuellen Verantwortung. Außerdem hatte die Verschwiegenheit Risse. So wurde der Vorwurf erhoben, dass bestimmte Gauakte „gereinigt“ und andere verschwunden seien. Erst 1990 gingen die Dokumente in den Bestand des Archivs der Republik im Österreichischen Staatsarchiv über.

Unter Helmer als Innenminister und dem ehemaligen Funktionär der Vaterländischen Front und nunmehrigen ÖVP-Politiker Ferdinand Graf als Staatssekretär im Innenministerium schwand Dürmayers Einfluss. Im Frühjahr 1947 musste die Staatspolizei Abteilungen wie die Reiseerlaubnisstelle und die Fremdenpolizei abgeben. Die Exekutivabteilung wurde auf 130 Beschäftigte reduziert und alle Personalentscheidungen wurden dem Wiener Polizeipräsidenten Josef Holaubek überantwortet.

Im Herbst 1947 war die Staatspolizei von ursprünglich 700 Beamten auf etwa die Hälfte reduziert, wovon die Kommunisten und ihre Sympathisanten noch etwa 65 Prozent stellten. Ebenfalls 1947 wurde Dürmayer zur Polizeidirektion Salzburg versetzt, wo dieser den Posten krankheitsbedingt nie antrat und daher zwangspensioniert wurde. Dürmayer arbeitete danach als Anwalt. Sein Nachfolger als Leiter der Wiener Staatspolizei wurde Oswald Peterlunger.

Dieser war während des Ständestaats bei der Polizeidirektion Innsbruck und der dortigen Staatspolizei gewesen. In dieser Funktion hatte er während der Februarkämpfe 1934 Mitglieder des Republikanischen Schutzbunds „mit drakonischer Härte“ verfolgt. Nun wurde Peterlunger aus der Zwangs-Pensionierung durch das NS-Regime reaktiviert. Er stieg später zum Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit auf.

Mit Dürmayer verließen auch zwei Referatsleiter die Staatspolizei, weitere wurden in der Folgezeit auf andere Polizeidienststellen versetzt. Marsalek musste seinen Posten als Leiter des Referats IV (Information) räumen und wurde als Polizeioberkommissär der staatspolizeilichen Abteilung zugeteilt.

Am 30. September 1950 nahm Marsalek gemeinsam mit einigen Kollegen an einer Betriebsrätekonferenz in Wien-Floridsdorf teil. Brisant war das deswegen, weil zu diesem Zeitpunkt eine massive Streikbewegung in der österreichischen Arbeiterschaft im Gange war, die maßgeblich von der KPÖ vorangetragen wurde. Gegen alle Polizisten, die an der Betriebsrätekonferenz teilgenommen hatten, wurden Verfahren vor der Disziplinarkommission der Polizeidirektion eröffnet. Daraufhin versetzte man Marsalek in das Bezirkskommissariat Alsergrund und er schied 1963 ganz aus dem Polizeidienst aus.

Was nun die eingangs erwähnten Vorwürfe gegen Marsalek angeht, so handelte es zunächst um den Fall Mautner. Quelle dafür ist ein Schreiben Peterlungers an die Staatsanwaltschaft Wien vom 24. 9. 1956. Daraus geht hervor, dass sich der aus Frankfurt am Main stammende Kaufmann Otto Mautner im März 1950 an die Staatspolizei gewandet hatte – und zwar wegen Drohungen gegen seine Person. Mautner befürchtete eine Verschleppung durch die sowjetische Besatzungsmacht. Er war nämlich Informant des Counterintelligence Corps (CIC), der Spionageabwehr der US-Armee. Die Sowjets hatten deshalb verlangt, er möge „für sie nachrichtendienstlich zu arbeiten“ und so Doppelagent werden. Mautner verständigte darüber das CIC.

Daraufhin wurde er am 6. Juni 1952 auf der Ennsbrücke an der Demarkationslinie verhaftet und in die sowjetische Zentralkommandatur in Baden bei Wien überstellt worden. Mautner wurde zum Tod verurteilt, begnadigt und am 18. März 1953 in die Sowjetunion verbracht. Am 25. Juni 1955 kehrte er aus dieser Zivilgefangenschaft nach Wien zurück.

Das war kein Einzelfall. Der Schattenkrieg der Geheimdienste im besetzten Nachkriegsösterreich forderte damals unter Zuträgern wie Mautner zahlreiche Opfer. Es kam zu Mord, Entführung und Erpressung. Auf dem Höhepunkt 1948 sollen in Wien bis zu drei Personen pro Tag von sowjetischen Geheimdienstlern und ihren Helfershelfern aus der Wiener Unterwelt verschleppt worden sein. Das war freilich keine sowjetische Spezialität. Auch die US-Dienste und ihre Alliierten schreckten nicht davor zurück, Zielpersonen im sowjetischen Sektor von Wien zu schnappen und mitzunehmen.

Der freigekommene Mautner warf Marsalek vor, Fotokopien von Protokollen seiner Aussagen von 1950 an die sowjetischen Organe weitergegeben zu haben. Dies habe „entscheidend“ zu seiner Verhaftung und Verschleppung beigetragen. Die Kopien seien ihm bei den Verhören in Baden vorgezeigt worden. Außerdem sei er mit einem Aktenvermerk Marsaleks konfrontiert worden, den dieser angeblich nachträglich angefertigt habe. Darin habe gestanden, dass Mautner das CIC von den russischen Anwerbeversuchen informiert habe. Diese Mitteilung sollte eigentlich nicht ins Protokoll aufgenommen werden.

Bei der Wiener Staatspolizei lautete die Schlussfolgerung, dass „der dringende Verdacht“ bestehe, „dass Marsalek unter Verletzung seiner Dienstpflichten die Unterlagen über Mautner der sowjetrussischen Besatzungsmacht übergeben und so entscheidend zu dessen Verhaftung und Verschleppung beigetragen hat.“

Es gab noch weitere ähnliche Verdachtsfälle gegen Marsalek. Er hatte als Referatsleiter den Verbleib der Offiziere der Abwehrstelle (AST) Wien bearbeitet, also der in Wien stationierten Agenten des Wehrmacht-Geheimdiensts (Amt Ausland/Abwehr). Nach 1945 waren dessen Angehörige ebenso wie Veteranen des SS-Geheimdiensts gefragte Informanten bei den westlichen Diensten, was wiederum die sowjetische Spionageabwehr auf den Plan rief.

Unter anderem wurden zwei ehemalige Abwehr-Agenten, Felix Tarbuk und Viktor Pan, verhaftet und verschleppt: „In beiden Fällen zeigten sich die Russen in einer Weise informiert, dass angenommen werden muss, sie haben auch in diesen Fällen die Unterlagen der Staatspolizei durch Marsalek bekommen“, heißt es in dem erwähnten Dokument.

Pan scheint in einer Liste von Abwehroffizieren eines belgischen Archivs als Oberleutnant auf. Der zweite Verschleppte, Tabruk, war im 1. Weltkrieg Offizier einer k.u.k.-Eisenbahnkompanie gewesen. 1939 ließ er sich als Offizier reaktivieren. Als Major war Tarbuk Referatsleiter in der Abteilung III der AST Wien. Zum Kriegsdienst war er in den Jahren 1942 bis 1944 in Italien stationiert, als Abwehroffizier in der italienischen Großindustrie, im Abwehr- bzw. Front-Aufklärungs-Kommando 150 (Abwehr I, Spionage) in Rovereto.

Organigramm der AST Wien – aus einem Dokument des US-Militärgeheimdiensts von 1946

1945 geriet Tarbuk in Norditalien in britischer Kriegsgefangenschaft. Nach Entlassung aus der Gefangenschaft wurde er 1947 von Politkommissaren des NKWD aus seiner Wiener Wohnung in die sowjetische Besatzungszone entführt. In einem Schnellgerichtsverfahren wurde Tarbuk wegen angeblicher Spionage zu einer 25-jährigen Haftstrafe in einem Straflager in Sibirien verurteilt, die er von 1947 bis zu seiner Entlassung 1955 verbüßte.

Felix Tarbuk 1914 (Credit: TFA Family Archive/Wikimedia Commons)

Außerdem soll Marsalek laut dem Schreiben Peterlungers noch „in irgendeiner Form“ bei der Verhaftung und Verschleppung eines gewissen Otto Swoboda mitgewirkt haben.

Wie sind diese Erkenntnisse nun zu bewerten? Es gibt keine Beweise gegen Marsalek. Er bestritt, „jemals Photokopien von Akten der russischen Besatzungsmacht übergeben zu haben“.

Wie die Angelegenheit weiterging ist unklar, die Dokumente sind allenfalls ein Ausschnitt. Offenbar erhob die Staatsanwaltschaft keine Anklage und Marsalek war noch bis 1963 im Dienst. Es könnte sich um Verleumdungen gehandelt haben. Man könnte eine Chance gesehen haben, sich eines verbliebenen früheren kommunistischen Spitzenbeamten zu entledigen.

Andererseits ist es ein Faktum, dass die Wiener Staatspolizei unter Dürmayer eng mit der sowjetischen Besatzungsmacht zusammengearbeitet hat. Ob und in welcher Form das nach Dürmayers Ausscheiden 1947 üblich war, ist unklar. Grundsätzlich ist ein solcher Info-Abfluss denkbar. Die Verfolgung von NS-Tätern war Marsalek jedenfalls ein Anliegen. Die genannten Personen waren nachrichtendienstlich tätig gewesen, entweder für das CIC oder für die Abwehr. Von daher gab es ein Interesse daran, ihrer habhaft zu werden. Nur der Fall von Swoboda bleibt unklar.

Viele Jahrzehnte später verstrickte sich Hans Marsaleks Enkel Jan mit dem nunmehrigen BVT. Er soll Insiderinformationen aus dem Verfassungsschutz erhalten haben. Diese soll er dann über einen Mittelsmann an den FPÖ-Politiker Johann Gudenus weitergeleitet haben. Der Nachrichtenaustausch baute kurz vor der Razzia im BVT-Hauptquartier am 28. Februar 2018 aus Fakten und Halbwahrheiten ein stimmiges Narrativ zusammen: Das „schwarze Netzwerkarbeite gegen FPÖ-Innenminister Herbert Kickl.

Fahndungsplakat des Polizeipräsidiums München

Die Zukunft des Verfassungsschutzes war ebenso Thema. So wollte Jan Marsalek einen Termin, um unter der Bezeichnung „Projekt Pyramide“ eine Neuaufstellung des BVT voranzutreiben. Marsalek, so die Journalistin Anna Thalhammer, hatte offenbar „seine eigenen Ideen, was man mit dem Amt anstellen könnte.“ Er machte Gudenus Personalvorschläge und nannte im Mai 2018 einen passenden neuen BVT-Direktor.

Darüber hinaus war Marsalek mit einer kleinen Gruppe von ehemaligen und aktiven BVT-Mitarbeitern verbunden, die für ihn gearbeitet haben. Einer von ihnen, ein ehemaliger BVT-Abteilungsleiter war ein Vertrauter, der zuletzt in die Organisation der Flucht von Marsalek im Jahr 2020 eingebunden war, wissentlich oder nicht.

Hans Marsaleks Persönlichkeit und sein reicher Erfahrungsschatz werden wohl auf den Enkel gewirkt haben, auch wenn das Verhältnis zwischen den beiden zuletzt nicht gut gewesen sein soll. Es ist zumindest vorstellbar, dass Jans ausgeprägtes Faible für Geheimdienste auch von Erzählungen seines Großvaters mitgeformt wurde.

Als Leiter der Gedenkstätte Mauthausen hatte Hans Marsalek auch viele internationale Kontakte. Das zeigen zahlreiche Sichtvermerke von Besuchern aus der DDR/Sowjetunion zu den Gedenkfeiern. Sollte Hans Marsalek tatsächlich aktiv mit dem sowjetischen Geheimdienst zusammengearbeitet haben, dann würde dies in den Moskauer Archiven Spuren hinterlassen haben. Das könnte ein vertrauensbildender Faktor für die mutmaßliche Zusammenarbeit mit Jan Marsalek gewesen sein – auch wenn dies letztlich nur Spekulation ist.

Nach einigen Meinungen erfolgte der Startschuss für Jan Marsaleks Russland-Verbindungen bereits in jungen Jahren. Das Dossier Center will von einer Quelle erfahren haben, dass Marsalek über die Österreichisch-Russische Freundschaftsgesellschaft (ORFG) mit hochrangigen Offizieren des russischen Auslandsgeheimdiensts SWR und des Militärgeheimdiensts GRU zusammenkam: „Zu dieser Zeit rekrutierten die russischen Sonderdienste aktiv vielversprechende Österreicher, und der junge und abenteuerlustige Marsalek schien ein guter Kandidat für eine ‚Freundschaft‘ mit Geheimdienstoffizieren zu sein.“

Problematisch an dieser Darstellung ist jedoch, dass sich diese Rekrutierung Ende der 1990er Jahre zugetragen haben soll – als die ORFG noch gar nicht existierte, sondern erst 2000 gegründet wurde.

Hans Marsalek verstarb 2011. Zu diesem Zeitpunkt war Marsalek 31 Jahre alt und seit einem Jahr Chief Operating Officer (COO) bei Wirecard.

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